Kulturell divergierende Krankheitskonzepte führen häufig zu Konflikten zwischen Zugewanderten aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren deutschen Behandelnden. Mit dieser Studie wurde die subjektive Sicht auf Diabetes mellitus von Betroffenen aus der ehemaligen Sowjetunion und bilingualen Diabetesberaterinnen erfragt, die in deren Betreuung eingebunden sind. Die Erkenntnisse sind auch für neue Coping-Strategien gewinnbringend.
Individuelle Krankheitskonzepte beeinflussen das Verhalten gerade bei chronischen Erkrankungen entscheidend. Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis nach Deutschland zuwandern, bringen ihre Wahrnehmung und individuellen Vorstellungen von Krankheiten und Therapien aus dem Herkunftsland mit. Das führt häufig zu Missverständnissen und Konflikten in der behandlungsbezogenen Kommunikation. Diese Untersuchung sollte die individuellen Annahmen über Diabetes mellitus von Menschen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion erfassen. Ziele waren die Kenntnisse dieser Vorstellungen und Ressourcen, die für ein erfolgreiches Selbstmanagement bei Diabetes mellitus hilfreich sein könnten. Bundesweit wurden 26 Interviews mit postsowjetischen Zugewanderten geführt, die von Diabetes mellitus betroffen waren. Außerdem standen drei bilinguale Expertinnen (deutsch/ russisch) zur Verfügung, die als ausgebildete Diabetesberaterinnen/ DDG diesen Personenkreis in ihrem beruflichen Kontext betreuen. Die Akzeptanz der Erkrankung und das beschriebene Verhalten der Interviewten war abhängig vom Ort der Diagnosestellung (Herkunftsland oder Deutschland) und dem jeweils vorhandenen Zugang zum lokalen Gesundheitssystem. Kenntnisse in einem selbst definierten Kompetenzbereich zu besitzen und darüber mit Angehörigen, Freunden und Bekannten zu kommunizieren, wurde gleichermaßen als eine Ressource wie auch ein Hindernis zur Bewältigung der Erkrankung gewertet. Die Gesundheitskompetenz (Wissen finden, verstehen, bewerten und anwenden) der Betroffenen und des sozialen Umfelds waren entscheidend für ein mehr oder weniger aktives Selbstmanagement und Begründung auch für das Verhalten. Die Erkenntnisse aus dieser Studie können durch das therapeutische Team in einer Betreuung der Betroffenen aus diesem Kulturkreis zur Entwicklung von Coping-Strategien eingesetzt werden.