Isabelle Ihring, Charlotte Njikoufon

Zur Situation geflüchteter Frauen und Kinder in deutschen Flüchtlingsunterkünften

Schlagwort(e): Frauen, Geflüchtete, Gewalt, Kinder

Die Situation geflüchteter Frauen in Deutschland ist bislang noch wenig erforscht, es existieren jedoch einige wenige Studien, auf die wir uns nachfolgend stützen. Auch unsere langjährigen Erfahrungen in der Arbeit mit geflüchteten Frauen und Minderjährigen fließen in diesen Beitrag ein.

Frauen, die den Weg nach Deutschland finden, haben auf ihrer Flucht teils schwer traumatisierende Erfahrungen gemacht. Sie kommen häufig aus Kriegs- und Krisengebieten, in denen die Frauen (sexualisierter) Gewalt ausgesetzt waren, nahe Angehörige verloren haben, selbst Todesängste hatten und vieles mehr. Laut einer Studie der Charité (2017) zeigen sich bei einigen der befragten Frauen Symptome eines posttraumatischen Belastungssyndroms. Spezifisch für die Situation von Frauen ist zudem, dass sie meist noch die Verantwortung für ihre mit auf der Flucht befindlichen Kinder tragen, was sie zusätzlich vulnerabel macht. Etliche von ihnen entscheiden sich aber, ihre Kinder im jeweiligen Heimatland zurückzulassen, um ihnen die lebensgefährliche Flucht zu ersparen, in der Hoffnung, sie in ein sicheres Land nachholen zu können. Die im Rahmen der genannten Studie befragten Frauen berichten häufig unter Tränen, wie schwer diese Entscheidung ist und wie sehr sie in Sorge um zurückgelassene Kinder und Angehörige sind (Meryam Schouler-Ocak & Kurmeyer, 2017, S. 40). Insgesamt wird in der Studie deutlich, wie sehr die Frauen unter der Situation, ihre Familien nicht nachholen zu dürfen, leiden.

Frauen und Kinder in Aufnahmeeinrichtungen: kaum Schutzräume, kaum Privatsphäre
Geflüchtete Frauen und Kinder leben in den Aufnahmeeinrichtungen auf sehr engem Raum, sie haben kaum Rückzugsmöglichkeiten und nur sehr wenig Privatsphäre. Die Mehrheit der Geflüchteten ist männlich, was gerade für Frauen schwierig sein kann, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Die in der o. g. Studie befragten Frauen berichten, dass sie das Leben in den Unterkünften als konfliktbeladen und unsicher erleben (ebd., S. 45). Erschwerend kommt hinzu, dass geflüchtete Menschen oft lange auf Sprachkurse warten müssen oder teilweise ganz davon ausgeschlossen bleiben, was zur Folge hat, dass die Frauen sich keine Informationen über Hilfs- und Unterstützungsangebote im Falle einer Bedrohungssituation oder im Umgang mit Konflikten holen können. Auch werden die langen Bearbeitungszeiten der Asylanträge als zermürbend beschrieben und die Angst vor Abschiebungen ist omnipräsent (vgl. Ihring & Czelinski, 2017, S. 68). Aus Sorge um den Aufenthaltsstatus wollen Frauen häufig keine Hilfe in Anspruch nehmen, da sie befürchten, dass sich das negativ auf ihren Status auswirken könnte.

Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern oder nur mit ihren Müttern in Unterkünften leben, leiden ebenfalls unter der beengten Wohnsituation, da sie keinen Platz zum Spielen oder Lernen haben und sie dem ständigen Lärmpegel ausgesetzt sind, wodurch sie teilweise auch in der Nacht nicht zur Ruhe kommen können (vgl. Berthold, 2014). Auch Kindern fehlen Schutzräume und Schutzmechanismen, was zur Folge hat, dass Mädchen und junge Frauen aus Angst vor sexuellen Übergriffen zu gesundheitsschädigenden Maßnahmen greifen, wie beispielsweise kaum zu trinken und zu essen, um Toilettenbesuche zu vermeiden, oder nicht zu schlafen, um nicht schutzlos ausgeliefert zu sein (ebd.). Kinder, die innerfamiliärer Gewalt oder den Konflikten innerhalb der Unterkunft ausgesetzt sind, haben kaum die Möglichkeit, sich diesen zu entziehen, da zum einen der beengte Raum dies nicht zulässt, sie zum anderen jedoch auch nicht wissen, wo sie sich Hilfe holen können. Maßnahmen, die vom Jugendamt bereitgestellt werden, um Kinder und Jugendliche, die in stark belasteten Familien oder unter schwierigen Lebensbedingungen groß werden, zu unterstützen, kommen meist geflüchteten Kindern nicht zugute, obwohl auch sie einen Anspruch darauf hätten. Dem in Deutschland gesetzlich verankerten Schutz des Kindeswohls wird im Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu wenig nachgekommen. Auch die ständige Unsicherheit bezüglich ihres Aufenthaltsstatus und die Angst vor Abschiebungen gefährden das Kindeswohl massiv.

Es kann abschließend festgehalten werden, dass Aufnahmeeinrichtungen für Frauen und Minderjährige teils stark belastend und gefährlich sind. Sie werden als Orte der Isolation beschrieben, die kaum Rückzugsmöglichkeiten zulassen und die das Risiko erhöhen, Opfer von gewalttätigen Übergriffen zu werden. Dies ist besonders dramatisch, da es sich um Personengruppen handelt, die bereits mehrfach traumatisierende Gewalterfahrungen gemacht haben, ob durch sexuelle Übergriffe auf der Flucht, durch erlittene Genitalbeschneidung (und deren Folgen) oder den Verlust naher Angehöriger wie beispielsweise der eigenen Kinder (vgl. Meryam Schouler-Ocak & Kurmeyer, 2017; vgl. Ihring & Czelinski, 2017).

Mehr Schutzräume, mehr Bleiberecht
Geschlechtsspezifische Asylgründe anzuerkennen, bedeutet in erster Linie, den Frauen und Mädchen Sicherheit zu bieten und die Möglichkeit, hier ankommen zu dürfen. Für ein solches Ankommen brauchen Frauen dringend Schutzräume für Gespräche untereinander und den Austausch mit professionellen Mitarbeiterinnen (am besten einem multiprofessionellen Team). Sie benötigen mehr muttersprachliche Unterstützung, um an die notwendigen Informationen zu gelangen, die in ihrem Leben unter stark belasteten Bedingungen unterstützend sind. Es wäre darüber hinaus sehr wichtig, den Frauen schnellstmöglich kostenlose Deutschkurse anzubieten – unabhängig von der Bleibeperspektive. Die Situation, Kinder im Heimatland zurückgelassen zu haben, schwächt Frauen und Familien enorm, weshalb ein wichtiges und dringendes Anliegen der Frauen ist, ihre engsten Angehörigen schnellstmöglich nachzuholen. Besonders für im Heimatland verbliebene Mädchen wäre dies wichtig, da sie ohne ihre Mütter/Eltern großen Risiken ausgesetzt sind, wie Vergewaltigung, Genitalbeschneidung oder Zwangsehen. Mädchen und Frauen, die von weiblicher Genitalbeschneidung betroffen oder bedroht sind, brauchen Schutz, einen sicheren Aufenthalt und medizinische Versorgung durch geschulte Ärzt*innen, was gleichfalls für schwangere Frauen gilt. Frauen, die (sexualisierte) Gewalt erlebt haben, benötigen auch medizinische sowie therapeutische Unterstützung, am besten direkt nach der Ankunft in Deutschland. Frauen, die mit ihrem Kind / ihren Kindern allein hier sind, brauchen stundenweise Kinderbetreuung oder Kindergarten- und Schulplätze, um die vielen, teilweise sehr zeitaufwendigen Behördengänge erledigen zu können und sich gegebenenfalls auch um ihre physische wie psychische Gesundheit kümmern zu können. Auch bei Kindern und Jugendlichen gilt zu prüfen, ob sie therapeutische Unterstützung benötigen. In jedem Fall wäre wichtig, dass sie Schutzräume haben, wo sie spielen, lernen und zur Ruhe kommen können. Geflüchtete Minderjährige sollten von Unterstützungs- und Freizeitangeboten, die von der Kinder- und Jugendhilfe angeboten werden, profitieren dürfen, weil sie u. a. die Chance auf Integration bieten und gleichzeitig das Wohl der Kinder im Blick bleibt.  

Die hier zitierten Studien sowie unsere langjährigen Erfahrungen mit geflüchteten Frauen und Minderjährigen zeigen, wie vulnerabel diese Personengruppen sind. Sie gelten als besonders schutzbedürftig, was aus unserer Sicht die Abschiebung von geflüchteten Frauen und Kindern verbietet. Ziel sollte stattdessen sein, Frauen und Kindern nach teils jahrelanger lebensgefährlicher Flucht und nach Gewalterfahrungen die Möglichkeit zu geben, in Sicherheit leben zu dürfen.

Literatur:

  • Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge / Deutsches Komitee für UNICEF (2016): Factfinding zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften. Zusammenfassender Bericht / November 2015 – Januar 2016 (unicef-bumf-factfinding-fluechtlingskinder-2016-data.pdf).
  • Berthold, Thomas (2014): In erster Linie Kinder. Flüchtlingskinder in Deutschland. In Auftrag gegeben beim Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. Köln: Deutsches Komitee für UNICEF (In erster Linie Kinder. Flüchtlingskinder – Thomas Berthold.pdf).
  • Charité Berlin: Schouler-Ocak, M. & Kurmeyer, C. (2017): Study on Female Refugees (forschung-charite-female-ref-data.pdf).
  • INTEGRA / Ramboll: Ihring, I. & Czelinski, F. (2017): Eine empirische Studie zu weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland.

Dr. Isabelle Ihring ist akademische Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und viele Jahre als Sozialpädagogin in unterschiedlichen Arbeitsbereichen tätig.
Charlotte Njikoufon ist hauptamtliche Mitarbeiterin bei FIM (Frauenrecht Ist Menschenrecht) und arbeitet seit 16 Jahren als psychosoziale Beraterin für Frauen aus unterschiedlichen Ländern des afrikanischen Kontinents.

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