Ina Wolf

Wie sich Covid-19 auf das Leben von LSBTI-Geflüchteten auswirkt

Schlagwort(e): Coronavirus, Diskriminierung, Geflüchtete, Gewalt, LSBTIQ, Unterkünfte

In den Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften für Geflüchtete ist es oft unmöglich, die coronabedingten Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Unterkünfte werden abgeriegelt und so besonders gefährlich für vulnerable Gruppen wie Lesben, Schwule und Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Personen (LSBTI), deren soziale Isolation sich verschärft. Gleichzeitig steigt die Gefahr, Opfer von Anfeindungen zu werden. Bereits vor Beginn der Pandemie wurde dem Projekt Queer Refugees Deutschland und den Partnerorganisationen immer wieder gemeldet, dass LSBTI-Personen in Aufnahmeeinrichtungen von anderen Flüchtlingen oder sogar dem Wachpersonal bzw. Mitarbeitenden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht wurden.

Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen verschärfen LSBTI-feindliche Gewalt in Unterkünften
In zahlreichen Ländern dieser Welt droht Menschen, die einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit angehören, Gefahr für Freiheit, Leib und Leben. Einige von ihnen fliehen vor Verfolgung und Unterdrückung nach Deutschland. Sie müssen in unserem Land Aufnahme, Schutz und angemessene Unterstützung finden. LSBTI-Geflüchtete gehören zur Gruppe der vulnerablen Geflüchteten und sind damit besonders schutzbedürftig. Die EU-Aufnahme-Richtlinie aus dem Jahr 2013 schreibt vor, dass die EU-Mitgliedsstaaten geeignete Maßnahmen zur Identifizierung schutzbedürftiger Geflüchteter ergreifen und ihren Schutz gewährleisten müssen.

Bei der Umsetzung zeigt sich in Deutschland jedoch ein Flickenteppich. Auch in den Bundesländern, in denen es Gewaltschutzkonzepte gibt, greifen diese mit Bezug auf LSBTI viel zu kurz. Dabei sind LSBTI-Asylsuchende inner- und außerhalb der Unterkünfte überdurchschnittlich oft von Gewalt betroffen. Aus Angst vor Gewalt und Anfeindungen verheimlichen einige Asylsuchende ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre geschlechtliche Identität. Die Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen verschärfen diese Situation derzeit zusätzlich, sodass es LSBTI-Geflüchteten derzeit kaum möglich ist, sich vertrauensvoll an spezialisierte LSBTI-Beratungsstellen zu wenden, wie es sie in der Regel nur in Großstädten gibt.

Die Sammelunterkünfte gleichen aufgrund der Ausgangsbeschränkungen immer mehr Gefängnissen. Einige sind bereits wegen auftretender Erkrankungen gänzlich abgeriegelt. Das hat zur Folge, dass queere Geflüchtete der LSBTI-Feindlichkeit in den Unterkünften nicht mehr entkommen können.

Anfeindungen und Gewalt in den Unterkünften steigen
Häufig sind Mitarbeitende der Unterkünfte, die bei Gewalt und Anfeindungen unterstützen könnten, im Homeoffice. Betroffene verlieren damit wichtige Ansprechpersonen. Durch das fehlende Personal bleiben Schutzkonzepte und Maßnahmen zur Gewaltprävention nahezu wirkungslos. Mangelnde Informationen zum weiteren Verlauf ihrer Verfahren oder über den Schutz vor Corona verschärfen die oft angespannte Lage auf engstem Raum. Als Folge steigen Aggressivität und Gewalt. Besonders für vulnerable Gruppen wie LSBTI erhöht sich hier die Gefahr, Opfer von Anfeindungen und Gewalt zu werden.

Die Zahlen von Gewaltvorfällen, die seit dem Frühjahr 2020 jede Woche bei queeren Projekten gemeldet werden, weisen auf eine erhebliche Verschärfung der Gefährdungslage hin. Auch wenden sich im selben Zeitraum etwa dreimal so viele LSBTI-Geflüchtete mit schweren Depressionen und Selbstmordandrohungen an die LSVD-Bundesgeschäftsstelle. Es ist davon auszugehen, dass die große Mehrzahl der Übergriffe in Unterkünften unsichtbar bleibt, da sich viele geflüchtete LSBTI nicht trauen oder schämen, in der Unterkunft die erfahrene Gewalt und damit ihre eigene Identität offenzulegen. Damit sind die gemeldeten Fälle nur die Spitze des Eisbergs.

Die oft ohnehin schon traumatisierten Geflüchteten werden so re-traumatisiert. Depressionen verstärken und verfestigen sich. Dringende psychologische Unterstützung ist durch die zahlreichen Beschränkungen nicht mehr verfügbar. Soziale Kontakte zur Außenwelt sind derzeit nahezu unmöglich geworden.

Soziale Isolation wirkt verschärfend
Gerade für LSBTI-Geflüchtete sind Kontakte zu anderen LSBTI außerhalb der Unterkünfte essenziell, um ihre eigene Identität zu festigen, Ängste zu überwinden und sich im Umgang mit LSBTI-feindlichen Einstellungen gegenseitig zu stärken. Der erzwungene Aufenthalt in den Sammelunterkünften und mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten erschweren die Isolation dramatisch. Einige LSBTI-Geflüchtete sind auch auf regelmäßige medizinische Versorgung und besondere Medikamente angewiesen. Viele transgeschlechtliche Personen befinden sich mitten in der Transition, einer psychisch und sozial in der Regel extrem belasteten Periode ihres Lebens. Gegenwärtig ist in vielen Unterkünften nur eine Notfallversorgung möglich. Problematisch ist auch, dass viele der fast einhundert spezialisierten Anlaufstellen in Deutschland geschlossen sind und das Personal oft nicht erreichbar ist. Viele dringende Anliegen – etwa Asylanträge, die Vorbereitung von Klageverfahren oder auch psychologisch-medizinische Fragen – bleiben hier unbeantwortet. Die Folge ist, dass wichtige Fristen versäumt werden und sich einige Problemlagen weiter verschlimmern.  

Erreichbarkeit von Beratungsstellen und Schulungsbedarf in Unterkünften
Als das LSVD-Projekt Queer Refugees Deutschland vermehrt Hilfeersuchen erreichten, hat es gemeinsam mit der Migrantenselbstorganisation SOFRA COLOGNE eine Umfrage zum Nutzungsverhalten und zur Erreichbarkeit von LSBTI-Geflüchteten gestartet. 123 Rückmeldungen gab es aus ganz Deutschland – digital und analog. Hier zeigt sich gerade bei der Auswertung der schriftlich ausgefüllten Fragebogen erwartungsgemäß, dass circa ein Fünftel der Geflüchteten keinen guten oder gar keinen Internetzugang in der Unterkunft hat, 15 Prozent keine Mittel haben, um ihn selber zu bezahlen, und 40 Prozent keine Möglichkeit, sicher und in Ruhe zu kommunizieren. Auf die Frage, wie die persönliche Situation aktuell ist, gaben Geflüchtete Rückmeldungen wie: „Ich hatte endlich Anschluss durch einen Job, den habe ich nun verloren“ oder „Ich fühle mich nun sehr ängstlich. Ich bin wie in Syrien, wie in einem Gefängnis und kann nicht mehr schlafen“. Es zeigt sich überdies, dass viele LSBTI-Geflüchtete massive Probleme haben, wichtige Kontaktstellen oder ihr soziales Umfeld zu erreichen. Die detaillierten Ergebnisse der Umfrage werden im Januar 2021 veröffentlicht.

Gerade wegen der massiven Meldungen und auch, um das Personal in den Unterkünften zu stärken, hat das Projekt Queer Refugees Deutschland gemeinsam mit Leonie Teigler von der BAfF (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer) eine Schulungsreihe durchgeführt. An drei Terminen ging es für Mitarbeitende der Geflüchtetenhilfe um das Thema „Trauma-Sensibilität in der Arbeit mit geflüchteten Menschen“. Die mehrstündigen Onlineseminare waren jedes Mal ausgebucht und bekamen ein positives Feedback. Der Bedarf an Schulung und Sensibilisierung ist konstant hoch. Daher ist es wichtig, dass bestehende Strukturen und Vernetzungsformate erhalten bleiben und die Finanzmittel aufgestockt werden. Nur so kann nachhaltige Arbeit ermöglicht werden.

Bund, Länder und Gemeinden müssen Schutzräume für LSBTI-Geflüchtete ausweiten und weitere Maßnahmen ergreifen
Um die Situation zu entschärfen, braucht es schnellstmöglich eine Alternative zur Unterbringung in Sammelunterkünften. Die Bedarfe von LSBTI-Geflüchteten müssen mitgedacht werden, daher sollten diese dezentral in größeren Städten und Ballungsräumen untergebracht werden, um den Zugang zu Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen zu gewährleisten. Ihre Bedarfe müssen in den Hilfe- und Unterstützungssystemen im Kampf gegen die Pandemie mitgedacht werden. Die Geflüchteten brauchen bessere Information zu den Themen Pandemie-Vorsorge, den Schutzmaßnahmen in den Unterkünften und auch zu den Auswirkungen auf die Asylverfahren. Sensibilisierte Ansprechpartner*innen für LSBTI-Geflüchtete müssen erkennbar und ansprechbar sein. Die Möglichkeit einer unkomplizierten Kommunikation zur Fachberatung sollte gegeben sein. Das bedeutet auch, dass Unterkünfte Schutzräume und kostenfreie Kommunikationsmöglichkeiten via Telefon und Internet vorhalten. Die medizinische, psychische und spezifische Versorgung LGBTI muss sichergestellt und stärker ausgebaut werden, insbesondere von Trans- und Intermenschen.


Hintergrund

„Ich habe mich noch nie einsamer gefühlt“. Queere Geflüchtete trifft die Coronakrise besonders hart, denn sie verstärkt ihre soziale Isolation. Oft hat das schwerwiegende Folgen für ihre Psyche – Tagesspiegel vom 01.04.2020
https://www.tagesspiegel.de/

Verfolgte LSBTI-Geflüchtete schützen durch systematische Information über LSBTI-Verfolgung als Asylgrund im Asylverfahren und über den besonderen Schutzbedarf bei der Unterbringung – Beschluss LSVD-Verbandstag 2019
https://www.lsvd.de/

BROSCHÜRE Besonders schutzbedürftige Geflüchtete – Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
https://www.queer-refugees.de/materialien

LSBTI sensibler Gewaltschutz für Geflüchtete – Leitfaden für die Praxis
https://www.queer-refugees.de/materialien

Ina Wolf ist zertifizierte Fachkraft für junge LSBTI-Geflüchtete, Managerin Interkulturelle Öffnung, Paritätischer NRW, Initiatorin und Mitbegründerin der Rainbow Refugees Cologne und Mitgründerin Sofra Cologne.

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