Heike Köckler, Fabian Przybylak

Standort von Unterkünften für Geflüchtete: auch eine Frage der Gerechtigkeit

Schlagwort(e): Gesundheitliche Chancengleichheit, Gesundheitsförderung, Hitze, Klima, Kommune, Unterkünfte

Der Wohnstandort eines Menschen ist wichtig für seinen Alltag und den Sozialraum, in dem er lebt (Köckler 2019). Der Wohnstandort prägt die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ebenso wie die gesundheitsrelevante Umweltsituation. Das Regenbogenmodell (siehe Abbildung 1) zeigt, dass die Gesundheit von verschiedenen Faktoren bestimmt wird, die nicht nur in einer Person und ihrem Verhalten begründet sind, sondern insbesondere in den Verhältnissen, in denen eine Person lebt. Die Wohnsituation ist hier den Lebens- und Arbeitsbedingungen zugeordnet. Das Regenbogenmodell wurde erstmals Anfang der 1990er-Jahre veröffentlicht (Dahlgren& Whitehead 2021). 

Die Darstellung in Abbildung 1 der hessischen Arbeitsgemeinschaft Gesundheit aus dem Jahr 2020 stellt eine aktualisierte Fassung dar, die neben der Digitalisierung auch den globalen Klimawandel in die Systematik mit aufgenommen hat und hiermit betont, dass Hitze ein relevanter Bestimmungsfaktor der menschlichen Gesundheit ist. Betrachtet man die Ursachen von Flucht und Migration, so sind neben kriegerischen Auseinandersetzungen, im Regenbogenmodell durch die Friedenstaube symbolisiert, auch Folgen des Klimawandels, die ihrerseits bspw. aufgrund von Wasserknappheit oder Ernteausfällen zu kriegerischen Konflikten führen können, Gründe, aus Herkunftsländern nach Deutschland zu migrieren. 

In diesem Beitrag wird der Fokus auf die Wohnsituation Geflüchteter in Deutschland im Hinblick auf die gesundheitsrelevanten Folgen des Klimawandels gelegt. Dieser Beitrag ist als eine Annäherung an das Thema zu verstehen, da es hierzu bislang wenig Forschung gibt, wie Recherchen in Vorbereitung auf den Beitrag gezeigt haben. 

Zunächst werden Wohnstandorte Geflüchteter in ihrer Besonderheit auf Grundlage einer Befragung beschrieben und planungsrechtlich eingeordnet. Dann werden die Standorte aus Perspektive umweltbezogener Verteilungsgerechtigkeit mit einem eigens für diesen Beitrag erstellten explorativen Screening von Mehrfachbelastungen im Wohnumfeld betrachtet, um zu erörtern, ob Unterkünfte von Geflüchteten in Teilen einer Stadt liegen, die stärkeren Umweltbelastungen einschließlich Hitze ausgesetzt sind als andere Stadtteile. Abschließend erfolgt eine kurze Einordnung im Hinblick auf Gebäudetypen und mögliche Konsequenzen für Praxis und Forschung. 
 

Abbildung 1: Das Regenbogenmodell zu Gesundheit

Zur Wohnsituation Geflüchteter in Deutschland
Viele Geflüchtete wohnen in Deutschland in Unterkünften, die speziell für den vorübergehenden Wohnbedarf geschaffen wurden. Denn die Wahl des Wohnorts ist für Geflüchtete, die asylsuchend sind, nicht frei. Innerhalb von Deutschland werden Asylsuchende nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Dort angekommen, müssen sie bis zu 18 Monate in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen. Anschließend sollen Asylsuchende in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden. Je nach Bundesland ist auch eine Unterbringung in einer Wohnung möglich. Für Geflüchtete aus der Ukraine gelten aufgrund des Beschlusses zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes eines Massenzustroms andere Regeln, die nicht nur eine sofortige Krankenversicherung und den Bezug von Bürgergeld ermöglichen, sondern ihnen auch – zumindest rechtlich – eine weitestgehend freie Wahl des Wohnstandorts ermöglichen. 

Eine Befragung von Geflüchteten im Jahr 2016 zeigt, dass 37 Prozent der Befragten, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnten, in einem umgewidmeten Gebäude – wie ehemaligen Bürogebäuden oder ehemaligen Schulen – untergebracht waren. 21 Prozent der Befragten, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnten, waren in Provisorien wie Zelten, Hallen oder Containern untergebracht. Die anderen Befragten wohnten in hotelähnlichen Gebäuden oder sonstigen Gemeinschaftsunterkünften (Baier, Siegert 2018: 4).

Die Zahlen zeigen, dass Geflüchtete in Einrichtungen leben, die nicht dauerhaft fürs Wohnen vorgesehenen sind. Dies ist aus Sicht der räumlichen Planung und somit für mögliche Standorte dieser Unterkünfte von großer Bedeutung. Denn das Wohnen untersteht einem besonderen Schutz, auch vor umweltbedingten Belastungen und deren Bedeutung für die menschliche Gesundheit. So ist dauerhaftes Wohnen in Gewerbegebieten in der Regel nicht zulässig, vorübergehendes Wohnen jedoch schon. Auf der anderen Seite war, vor einer Novelle des Baugesetzes, die Einrichtung von Aufnahme- und Gemeinschaftseinrichtungen in reinen Wohngebieten – zum Schutz des dauerhaften Wohnens – nicht zulässig (siehe auch BMWSB 2024). 

Eine Perspektive umweltbezogener Mehrfachbelastung auf Wohnstandorte Geflüchteter
Aufgrund der Bedeutung des Wohnstandorts für Gesundheit und die besondere Wohnsituation Geflüchteter ist es wichtig zu betrachten, an welchen Standorten Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünfte angesiedelt sind und welchen Umweltbelastungen Geflüchtete in dem Sozialraum, in dem sie leben, ausgesetzt sind. Hierzu gibt es derzeit wenig bis keine Forschung. 

Um sich dieser Fragestellung explorativ zu nähern, haben wir eine Mehrfachbelastungsanalyse nach dem SUHEI-Modell (Spatial Urban health Equity Indicators Modell, Flacke et al. 2016) für die Stadt Bochum durchgeführt. Bochum wurde aufgrund bestehender verfügbarer Daten und Kontakte aufgrund des Hochschulstandorts gewählt. 

Mehrfachbelastungsanalysen werden im Kontext umweltbezogener Verteilungsgerechtigkeit durchgeführt, um aufzuzeigen, ob spezifische Communities einer (Stadt-)Gesellschaft größeren Umweltbelastungen ausgesetzt sind und weniger Zugang zu umweltbezogenen Ressourcen haben als andere Teile der Gesellschaft. Hierzu wird dargestellt, ob ein Teilraum einer Stadt im städtischen Vergleich relativ laut, relativ stark von Hitze betroffen ist oder weniger Zugang zu Grün- und Wasserflächen hat. Diese relative Ungleichheit wird zunächst für jeden betrachteten Indikator einzeln dargestellt, um dann im Hinblick auf die eine Gesamtbelastungssituation in einem einfachen Verfahren aufaddiert zu werden. Die Wahl der Indikatoren kann je nach Fragestellung und Verwendungskontext angepasst werden (zur Methodik siehe Köckler et al. 2020). Ergebnisse dieser Analysen können im kommunalen Kontext genutzt werden, um soziale Ungleichheit bei räumlichen Belastungen bspw. im planerischen Umweltschutz prioritär zu behandeln. Sie können aber auch genutzt werden, um Wohnstandorte spezifischer Gruppen, die sich am Wohnungsmarkt weniger gut behaupten können, privilegiert festzulegen. Hierzu würde neben dem sozialen Wohnungsbau auch die Standortwahl für Geflüchtetenunterkünfte zählen.

In die vorliegende Analyse zur Umweltqualität der Standorte von Geflüchtetenunterkünften in der Stadt Bochum sind entsprechend der Logik des SUHEI-Modells Umweltressourcen, -stressoren und -daten einer vulnerablen Bevölkerungsgruppe eingeflossen (siehe Tabelle 1 im Detail). Als Umweltressourcen sind Grün- und Gewässerflächen eingeflossen, da diese insbesondere in Situationen extremer Hitze eine bedeutende Erholungsfunktion auch im Wohnumfeld haben. Als Belastungsfaktoren sind Hitzeinseln und Lärmbelastung eingeflossen. Hitzeinseln prägen sich für den Fall extremer Temperaturen aus. Eine dauerhafte Belastung mit Lärm hat bspw. ihrerseits Folgen für das Herz-Kreislauf-System oder den Schlaf und ist somit auch aus Sicht einer zusätzlichen Belastung durch Hitze relevant für diese Betrachtung. 

Als Sozialindikator wurden angesichts der hier vorliegenden Fragestellung Sammelunterkünfte Geflüchteter kartiert. Diese wurden mit Unterstützung der medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum recherchiert. Eine frei verfügbare Liste von Unterkünften gibt es – auch aus Gründen des Schutzes der Einrichtungen – nicht. Aus den gleichen Gründen sind diese in der Ergebniskarte (siehe Karte 1) nicht standortgenau eingetragen. Die Standorte, die ursprünglich nicht dem Wohnen dienen, werden als Sondernutzungen ausgewiesen und schließen Standorte ein wie: Gewerbegebiete, Klinikgelände, einen Parkplatz / eine Betonfläche oder ein ehemaliges Schulgebäude. Die Auswahl der Standorte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und entspricht im Wesentlichen dem Stand 2023. 
 

Tabelle 1: Verwendete Daten in der SUHEI-Analyse Mehrfachbelastung von Geflüchtetenunterkünften in Bochum

Raumeinheit: 30 Monitoringräume in Bochum

Indikator

Beschreibung

Modelloutput (Punkte)*

Quelle

Unterkünfte für Geflüchtete

(Vulnerabilität)

Einrichtungen für Geflüchtete

Keine Punkte, nur Standorte

Eigene Recherche, unterstützt von der medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum

Gewässerflächen

(Ressourcen)

Zusammengeführte Gewässerflächen aus den Features Fließgewässer, Gewässerachsen, stehendes Gewässer aus dem aktuellen Digitalen Basislandschaftsmodell

1. Quartil = Sehr hoch (1 P)

2. Quartil = Hoch (2 P)

3. Quartil = Mittel (3 P)

4. Quartil = Niedrig (4 P)

Geobasis NRW (Bezirksregierung Köln)

Grünflächen

(Ressource)

Anteil von Grünflächen** je Raumeinheit, zuzüglich Grünflächen im Umkreis von 400 m um die Raumeinheit

1. Quartil = Sehr hoch (1 P)

2. Quartil = Hoch (2 P)

3. Quartil = Mittel (3 P)

4. Quartil = Niedrig (4 P)

Regionalverband Ruhr (RVR), Realnutzungskartierung (2016)

Wärmebelastung

(Stressor)

Innenstadtklimatope, Intensität sehr hoch; Stadtklimatope, Intensität hoch; Bezug: Wohn- und Mischgebiete

1. Quartil = Niedrig (1 P)

2. Quartil = Mittel (2 P)

3. Quartil = Hoch (3 P)

4. Quartil = Sehr hoch (4 P)

Stadt Bochum, Hitzeinseln (2013)

Lärm

(Stressor)

Anteil von lärmbelasteter Fläche durch Straßenverkehr, Straße LDEN) >65 dB(A) Lden je Raumeinheit

1. Quartil = Niedrig (1 P)

2. Quartil = Mittel (2 P)

3. Quartil = Hoch (3 P)

4. Quartil = Sehr hoch (4 P)

Stadt Bochum, Straßenlärm LDEN (2017)

* Die Quartile wurden in QGIS-Version (3.36.1-Maidenhead) berechnet, für Mehrfachbelastung mit Jenks.

** Einbezogene RVR-Flächencodes: 271, 272, 273, 282,283, 284, 291, 292, 293, 321, 322, 323, 324, 325, 326, 361, 362, 370, 400, 410, 420, 431, 432, 441 ,471, 472 (RVR 2013).

 

Karte 1 zeigt die Ergebnisse der explorativen SUHEI-Analyse. Die vier Einzelkarten zeigen die relative Ungleichheit für die vier Umweltfaktoren an und die große Karte die Gesamtsituation mit den Unterkünften für Geflüchtete. Es wird deutlich, dass es in Bochum – wie in anderen Städten auch – mehrfachbelastete Orte gibt. Nur eine Unterkunft Geflüchteter liegt nach dieser Analyse in einem Teilraum Bochums mit sehr niedriger Umweltbelastung, wohingegen fünf Standorte in Teilräumen zu finden sind, die stark mehrfachbelastet sind.

Im Ergebnis kann auf Grundlage dieser explorativen Analyse zwar beobachtet werden, dass die Standorte eher in Gebieten mit hoher und sehr hoher Mehrfachbelastung angesiedelt sind, es aber auch Unterkünfte in Teilräumen gibt, die im städtischen Vergleich unterdurchschnittlich belastet sind. 
 
Die Auseinandersetzung mit den Daten hat darüber hinaus gezeigt, dass auch in Bochum mehrere Unterkünfte in nicht integrierten Lagen sind und somit ggf. den Zugang zu medizinscher Versorgung und anderen Angeboten einschränken. Tiefergehende Analysen der einzelnen Standorte könnten hier weiteren Aufschluss liefern. 

 

Weitergehende Überlegungen
Dieser Beitrag liefert nur ein Schlaglicht auf ein komplexes Thema. Die vorbereitenden Recherchen und die explorative, eigens angestellte Analyse zeigen, dass das Thema weitere Auseinandersetzung verdient. Kommunen können Mehrfachbelastungsanalysen bei der Wahl von Standorten für Geflüchtetenunterkünften berücksichtigen. In eine solche Standortanalyse sollten, wie es in einzelnen Städten auch der Fall ist, weitere Faktoren der Standortwahl, wie eine Anbindung an ÖPNV und Angebote der Daseinsvorsorge, einfließen. Auch wenn die Bereitstellung von Unterkünften für Geflüchtete für manche Kommunen eine Herausforderung ist, können insbesondere die Unterbringung in Sonderformen wie Zelten, Containern und auch umgenutzten Gebäuden sowohl baulich als auch hinsichtlich des Standorts den Anforderungen an gesunde Wohnverhältnissen nicht immer gerecht werden. 

 

Verwendete Quellen:
Baier, A.; Siegert, M. (2018). Die Wohnsituation Geflüchteter
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse11_iab-bamf-soep-befragung-gefluechtete-wohnsituation.pdf%3F__blob%3DpublicationFile%26v%3D11 

BMWSB (2024). Flüchtlingsunterbringung und Bauplanungsrecht. Zugriff am 16.06.2024 unter https://www.bmwsb.bund.de/Webs/BMWSB/DE/themen/stadt-wohnen/staedtebaurecht/fluechtlingsunterbringung/fluechtlingsunterbringung.html   

Dahlgren, G., & Whitehead, M. (2021). The Dahlgren-Whitehead model of health determinants: 30 years on and still chasing rainbows. Public Health, 199, 20–24. https://doi.org/10.1016/j.puhe.2021.08.009 

Flacke, J.; Schüle, S.; Köckler, H.; Bolte, G. (2016). Mapping environmental inequalities relevant for health for informing urban planning interventions – A case study in the City of Dortmund, Germany. In: International Journal of Environmental Research and Public Health. doi: https://doi.org/10.3390/ijerph13070711 

Köckler, H. (2019). Sozialraum und Gesundheit. In: Haring, R. (Hrsg.). Gesundheitswissenschaften. Springer. Berlin/Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54179-1_48-1  

Köckler, H.; Agatz, K.; Flacke, J.; Simon, D. (2020). Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung. Das SUHEI-Modell nutzt hierfür Indikatoren. In: Informationen zur Raumentwicklung, 47, Heft 1, 96-109.


Autorin und Autor:

Heike Köckler ist Professorin für Sozialraum und Gesundheit an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Sie arbeitet zu umweltbezogener Gerechtigkeit und gesundheitsfördernder Stadtentwicklung.

Fabian Przybylak ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Geodäsie der Hochschule Bochum. Er arbeitet als Geoinformatiker zu verschiedenen Methoden räumlicher Analysen. 

Kontakt: Heike.Koeckler(at)hs-gesundheit.de
 


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