Ingo Schäfer, Sahin Albayrak, Andreas Heinz, Michael Klein, Jutta Lindert, Annett Lotzin, Simone Penka, Peter Raiser

Prävention und Behandlung von Suchtproblemen bei Geflüchteten – der Forschungsverbund PREPARE

Schlagwort(e): Forschung, Geflüchtete, Prävention, Sucht

In Bezug auf psychische Belastungen standen bei Geflüchteten bislang zumeist Diagnosen wie die Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen oder Angststörungen im Vordergrund (Lindert, von Ehrenstein, Wehrwein, Brähler, Schäfer, 2018). Zu substanzbezogenen Störungen liegen deutlich weniger Befunde vor, obwohl Menschen mit Fluchthintergrund besondere Risiken für schädlichen oder abhängigen Konsum von Substanzen aufweisen (vgl. Lindert und Schäfer in diesem Heft). Weiter werden Geflüchtete mit Suchtproblemen aufgrund von Barrieren (z. B. strukturell) nur schlecht durch das Hilfesystem erreicht (Welbel et al. 2013). Vor diesem Hintergrund hat es sich der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsverbund PREPARE („Prevention and Treatment of Substance Use Disorders in Refugees“) zur Aufgabe gemacht, 1.) Befunde zu Suchtproblemen bei geflüchteten Menschen in Deutschland bereitzustellen und Strategien zu guter Praxis in der Versorgung von Betroffenen zu identifizieren, 2.) Befunde zur Erfassung von Suchtproblemen bei Geflüchteten systematisch zusammenzutragen und ein kulturell adaptiertes Instrument für syrische Geflüchtete bereitzustellen, 3.) einen innovativen, Smartphone-basierten Präventionsansatz zur indizierten Prävention von problematischem Substanzkonsum bei Geflüchteten mit den Herkunftsländern Syrien, Irak und Afghanistan zu entwickeln, 4.) die Effektivität eines integrativen Behandlungsprogramms für die besonders vulnerable Gruppe von Geflüchteten mit Traumafolgestörungen zu untersuchen und 5.) eine nationale Ressourcen-Plattform zu Suchtproblemen bei Geflüchteten bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) aufzubauen.

Das Verbundprojekt PREPARE

Das fünfjährige Verbundprojekt PREPARE ist eines von sieben Forschungsnetzwerken, das im Rahmen einer Förderinitiative zur psychischen Gesundheit geflüchteter Menschen seit 2019 durch das BMBF gefördert wird. Es wird durch das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg koordiniert (Prof. Dr. Ingo Schäfer, PD Dr. Annett Lotzin). Teilprojekte werden von der Charité – Universitätsmedizin Berlin (Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Dr. Simone Penka), der Hochschule Emden/Leer (Prof. Dr. Jutta Lindert) und dem Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) an der Katholischen Hochschule NRW (Prof. Dr. Michael Klein) verantwortet. Beteiligt sind zudem die Technische Universität Berlin (Prof. Dr. Dr. Sahin Albayrak), die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Dr. Peter Raiser) sowie ein deutschlandweites Netzwerk von Praxispartnern in den Metropolregionen Hamburg, Berlin, Köln, Hannover, Bremen, Frankfurt und München.

Besseres Verständnis von Suchtproblemen bei geflüchteten Menschen

Das erste Teilprojekt unter der Leitung von Andreas Heinz, Charité – Universitätsmedizin Berlin, befasst sich mit einem besseren Verständnis von Suchtproblemen bei geflüchteten Menschen in Deutschland und mit Empfehlungen zu „Guter Praxis“ in der Suchthilfe. Mithilfe einer Methodik, die bereits häufig in Projekten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Erhebung der Bedarfe spezifischer Zielgruppen eingesetzt wurde („Rapid Assessment and Response“), werden Erkenntnisse zu Substanzkonsum und Suchtproblemen bei Geflüchteten, zu möglichen Subgruppen mit speziellen Bedarfen sowie zu den Bedarfen des Hilfesystems gesammelt. In europäischen Studien wurden Strategien „Guter Praxis“ in der Versorgung von Geflüchteten und anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen herausgearbeitet. Inwieweit sie auf die Versorgung von Geflüchteten durch Suchthilfeeinrichtungen in Deutschland übertragbar sind, bleibt jedoch bislang offen. In Befragungen von Fachleuten sollen deshalb Prinzipien und Strategien zu guter Praxis zum Erreichen und in der Versorgung von geflüchteten Menschen mit Suchtproblemen identifiziert und im Anschluss disseminiert werden. Eine anschließende, bundesweite Befragung wird den Stand der Umsetzung jener identifizierten Strategien „Guter Praxis“ in Einrichtungen der Suchthilfe aufzeigen.

Diagnostik von Suchtproblemen bei geflüchteten Menschen

Das zweite Teilprojekt, geleitet von Jutta Lindert, Universität Emden/Leer, befasst sich mit der Diagnostik von Suchtproblemen bei geflüchteten Menschen. Ein übergeordnetes Ziel des Projekts besteht darin, ein Instrument zur Erfassung von Substanzproblemen zur Verfügung zu stellen, das kulturell, kontextuell und sprachlich an die Zielgruppe von Geflüchteten aus Syrien angepasst ist, der nach wie vor größten Gruppe von Geflüchteten in Deutschland. Dazu erfolgt zunächst eine systematische Bestandsaufnahme der Instrumente, die kulturell adaptiert wurden oder zu denen zumindest bereits Erkenntnisse bei Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen vorliegen. Die so identifizierten Instrumente sollen mithilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), die als Disseminationspartnerin am Verbundprojekt beteiligt ist, Kolleg*innen aus der Praxis zur Verfügung gestellt werden. In einem zweiten Schritt wird ein spezifisches Instrument entwickelt und weitere Teilprojekte des Verbunds werden dazu genutzt, es im Verlauf empirisch zu validieren.

Prävention von problematischem Alkohol- und Cannabiskonsum bei geflüchteten Menschen

Im dritten Teilprojekt beteiligt sich das Deutsche Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) unter der Leitung von Michael Klein an dem Verbund. In Kooperation mit fünf Praxispartnern aus dem Rheinland und dem Distributed Artifical Intelligence Laboratory (DAI) der Technischen Universität Berlin entwickelt, erprobt und evaluiert das DISuP eine kultursensible Smartphone-Applikation zur indizierten Prävention von problematischem Alkohol- und Cannabiskonsum bei in Deutschland angekommenen geflüchteten Menschen. Die Zielgruppe im Projekt sind junge, geflüchtete Männer aus den Herkunftsländern Syrien, Irak und Afghanistan. Mithilfe von Fokusgruppen mit Betroffenen und Fachkräften wurde das innovative Präventionskonzept inhaltlich entwickelt. In Zusammenarbeit mit Kulturmittler*innen und Übersetzer*innen vom Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen (BIM) e. V. werden die geplanten Inhalte der App (u. a. eine kultursensible Psychoedukation und interaktive Selbsthilfemodule wie zum Beispiel ein Substanzkonsumtagebuch) kulturell adaptiert und in fünf Sprachen übersetzt. Die App ist unter dem Namen „BePrepared“ inzwischen online verfügbar.

Entwicklung und Evaluation eines Behandlungsprogramms

Geflüchtete mit belastenden Symptomen nach traumatischen Erfahrungen und substanzbezogenen Störungen stellen eine besonders gefährdete Gruppe dar, für die in Deutschland bislang kaum präventive und therapeutische Maßnahmen zur Verfügung stehen. Das vierte Teilprojekt, geleitet von Ingo Schäfer und Annett Lotzin, Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Entwicklung und Evaluation eines Behandlungsprogramms für diese Zielgruppe. Die Intervention besteht in einem kultursensitiven, transdiagnostischen Gruppenprogramm (STARK-SUD) zur Verbesserung der Affektregulation bei Geflüchteten. Es basiert auf einer Intervention, die im Psychosozialen Behandlungszentrum „refugio“ in München bereits erfolgreich eingesetzt wird (STARK) und wurde an zusätzliche Bedarfe bei Personen mit Substanzproblemen angepasst.

In eine randomisierte kontrollierte Studie zur Intervention werden männliche Geflüchtete mit psychischer Belastung und mindestens riskantem Substanzkonsum eingeschlossen, die vor oder während der Flucht traumatischen Ereignissen ausgesetzt waren. Das Programm wird Geflüchteten dolmetschergestützt in Suchthilfeeinrichtungen in sechs Metropolregionen in Deutschland angeboten. Die Wirksamkeit von STARK-SUD wird nach Interventionsende sowie drei Monate später mit den üblichen Standardmaßnahmen verglichen. Primärer Endpunkt ist dabei die Schwere der psychischen Belastung. Es wird erwartet, dass sich positive Effekte der Intervention sowohl auf den Substanzkonsum als auch auf Symptome psychischer Belastung zeigen und dass dieser Ansatz die psychische Belastung bei Geflüchteten stärker reduzieren kann als die Standardmaßnahmen für Geflüchtete mit Suchtproblemen.

Ressourcen zur Beratung, Behandlung und besseren Versorgung

Schließlich ist die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm als Disseminationspartner maßgeblich am PREPARE-Verbund beteiligt. Dazu hat die DHS eine Internetplattform aufgebaut, die Ressourcen zur Beratung und Behandlung von Geflüchteten bereitstellt (https://www.sucht-und-flucht.de). Weiter werden jährliche Expert*innenen-Workshops stattfinden, um aktuelle Befunde aus dem PREPARE-Verbund einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und so einen Beitrag zu einer verbesserten Versorgung von Geflüchteten mit Substanzstörungen zu leisten.

Literatur

Lindert, J., von Ehrenstein, O.S., Wehrwein, A., Brähler, E., & Schäfer, I. (2018). Angst, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen bei Flüchtlingen – eine Bestandsaufnahme. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 68(01), 22–29.

Welbel, M., Matanov, A., Moskalewicz, J., Barros H., Canavan, R., Gabor, E., Gaddini, A., Greacen, T., Kluge, U., Lorant, V., Pena, M.E., Schene, A.H., Soares, J.J.F., Straßmayr, C., Vondrackova, P., & Priebe, S. (2013). Addiction treatment in deprived urban areas in EU countries: Accessibility of care for people from socially marginalized groups. Drugs: education, prevention and policy, 20(1), 74–83.

Penka, S., Faißt, H., Vardar, A., Borde, T., Mösko, M.O., Dingoyan, D., Schulz, H., Koch, U., Kluge, U., & Heinz, A. (2015). Der Stand der interkulturellen Öffnung in der psychosozialen Versorgung – Ergebnisse einer Studie in einem innerstädtischen Berliner Bezirk. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 65(910), 353–362.

 

Autor*innen

Prof. Dr. med. Ingo Schäfer, MPH, ist Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg und Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Prof. Dr.-Ing. habil. Dr. h.c. Sahin Albayrak ist Leiter des Distributed Artificial Intelligence Laboratory (DAI-Labor), Technische Universität Berlin. 

Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Charité, Berlin.

Prof. Dr. Michael Klein ist Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP), Katholische Hochschule Nordrhein-Westphalen (KatHO NRW), Köln.

Prof. Dr. Jutta Lindert ist Gesundheitswissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten Public Global Mental Health, Resilienzforschung und Gewalt, Migration und Gesundheit. Sie ist derzeit Vizepräsidentin der Sektion Public Mental Health der European Public Health Assocaition (EUPHA).

PD Dr. rer nat. Annett Lotzin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, Hamburg.

Dr. rer. medic, MA Simone Penka ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der AG Transkulturelle Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Charité, Berlin.

Dr. Peter Raiser ist stellv. Geschäftsführer des Referats „Grundsatzfragen“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Hamm. 

 

Kontakt:
I.schaefer(at)uke.de


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