Schwangerschaftsabbrüche
In unserer Stichprobe gaben 7,8 % der Frauen an, einen oder mehrere Abbrüche vorgenommen zu haben, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Dies ist vergleichbar mit der Abbruchrate in Deutschland (8,2 %) (Helfferich et al., 2016). Es ist bekannt, dass ungewollte Schwangerschaften mit einer Reihe von physischen und psychischen Risiken für Mutter und Kind verbunden sind und den Zugang zu Integrationsprogrammen erschweren (Shah et al., 2011). Dies unterstreicht, dass alle Frauen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Erziehung und ihrem sozialen Status, Zugang zu Familienplanungsdiensten, einschließlich des Zugangs zu sicheren Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs, benötigen, um Selbstbestimmung, erfolgreiche Integration und Gerechtigkeit zu gewährleisten (Clarke & Mühlrad, 2018).
Zusammenfassung des Familienplanungsbedarfs
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten Flüchtlingsfrauen, die an der Studie teilnahmen, jung, sexuell aktiv und ohne aktuellen Kinderwunsch waren. Allerdings zeigte sich eine große Diskrepanz in der Nutzung von als sicher eingestuften Verhütungsmitteln. So verhütete nur etwa die Hälfte der von uns befragten Frauen. Die dabei am häufigsten genutzte Methode stellte der Coitus Interruptus (34 %) dar, welcher nach dem Pearl Index als sehr unsichere Methode zu werten ist (Pearl-Index von 4–18) (Santow, 1993). Der Bedarf an Familienplanung in dieser Gruppe ist dementsprechend als hoch (47 %) einzustufen. Eine Zugangslücke ist offensichtlich. Wenn sich Flüchtlingsfrauen für eine wirksame Verhütungsmethode entschieden, bevorzugten sie die Spirale (30 %). Dies steht im Gegensatz zu den in Deutschland geborenen Frauen, die sich am häufigsten für die Antibabypille und Kondome als bevorzugte Verhütungsmethode entscheiden (BZgA, 2018). Ähnlich wie bei deutschen Frauen war auch bei den Befragten die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie eine Form der Empfängnisverhütung verwendeten, wenn sie entweder in einer festen Beziehung lebten oder sich selbst als sexuell aufgeklärt betrachteten (Helfferich et al., 2016). Interessanterweise korrelierte die Entscheidung zwischen modernen und traditionellen Formen der Empfängnisverhütung weder mit der Beziehung noch mit der sexuellen Aufgeklärtheit. Dies deutet auf eine Wissenslücke in Bezug auf die Wirksamkeit der verschiedenen Verhütungsmethoden hin und sollte mittels Aufklärungsprogrammen und im ärztlichen Kontakt adressiert werden. Dieser Rückschluss deckt sich mit den Erkenntnissen aus einer schwedischen Studie über Health Literacy und weist auf den hohen Bedarf an vermehrter zielgruppengerechter Gesundheitsbildung hin (Wångdahl et al., 2014).
Einzelne Informationen über den Gebrauch von Verhütungsmitteln, die für Flüchtlinge in Deutschland relevant sein könnten, sind in einer Studie der Weltbank zu finden (World Bank, o. J.). Diese stellt den Gebrauch von Kontrazeptiva bei Frauen ohne Flüchtlingsstatus in den Ländern dar, aus denen große Teile der Flüchtlinge in Deutschland stammen. Die Weltbankstudie unterstützt unsere Ergebnisse einer offensichtlichen Zugangslücke, da der ungedeckte Bedarf an Familienplanung von Flüchtlingen in Berlin im Vergleich zu den diesbezüglichen Daten aus ihren Herkunftsländern höher ist (Afghanistan: 41 % in Deutschland vs. 25 % im Heimatland; Iran: 40 % vs. 5,7 %; Irak 42 % vs. 8 %; Syrien: 49 % vs. 16,4 %; Albanien: 12,9 % vs. 50 %) (World Bank, o. J.).
Der Zugang zu Verhütungsmitteln ist in Deutschland nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Laut diesem haben Flüchtlinge in Deutschland das Recht, jede Form der modernen Verhütung kostenlos in Anspruch zu nehmen (vgl. § 6 Absatz 1 AsylbLG). Die Kostenübernahme für Verhütungsmittel ist jedoch länderspezifisch und zeitaufwendig und muss von Fachleuten des Gesundheitswesens organisiert werden (pro familia Bundesverband, 2015). In Berlin können Flüchtlingsfrauen in den Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung ebenfalls kostenlos Verhütungsmittel erhalten, wobei nicht zwischen den einzelnen Verhütungsmethoden unterschieden wird. Trotz dieses Angebots in Berlin scheinen diese Dienste unsere Befragten nicht zu erreichen. Wir vermuten, dass dies auf einen Mangel an Informations- und Aufklärungsangeboten in den Flüchtlingsunterkünften und Arztpraxen zurückzuführen ist. Diese Vermutung basiert auf Studien, die gezeigt haben, dass die Qualität der Informationsübermittlung eine wichtige Determinante für die Nutzung klinischer Verhütungsmethoden ist (Bempong et al., 2019).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aufgrund der geringen Nutzungsrate von Verhütungsmitteln und des hohen Anteils traditioneller Methoden mit einem höheren Pearl-Index ein Anstieg ungeplanter Schwangerschaften zu erwarten ist, wenn keine weiteren gesundheitspolitischen Maßnahmen ergriffen werden. Die Zahl der aktuellen Schwangerschaften bei unseren Befragten ähnelt den Zahlen einer Studie, die zwischen 2014 und 2015 in Flüchtlingslagern im Libanon und Irak durchgeführt wurde (8 % der Flüchtlinge in Deutschland vs. 7,5 % im Libanon und Irak). Es muss alarmieren, dass in derselben Studie im Libanon festgestellt wurde, dass 57 % der Schwangerschaften ungeplant waren (Balinska et al., 2019). Wie bereits ausführlich dargelegt, ist die geplante Elternschaft ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Integration und Emanzipation insbesondere weiblicher Flüchtlinge in ihre Aufnahmeländer (U. N. Popul. Fund, 2019). Dafür bedarf es eines systematischen Familienplanungsprogramms, aufbauend auf dem barrierefreien Zugang zu Informationen und Aufklärung für geflüchtete Frauen in Deutschland.
Für die Klinik ist die Erkenntnis bedeutend, dass bereits bei der Aufklärung mehr Zeit investiert werden muss. Es gilt, mögliche Barrieren abzubauen, beispielsweise durch den sofortigen Einsatz gleichgeschlechtlicher Sprachmittlerinnen und die direkte Kommunikation von Frau zu Frau (Wångdahl et al., 2014). Hierdurch kann, wie in diesem Bericht beschrieben, ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, indem auch kulturell schwierige Themen von beiden Seiten angesprochen und behandelt werden können.
Fazit
Geflüchteten Frauen gilt es, im Hinblick auf ihre frauengesundheitliche Versorgung im klinischen, aber auch im innersystemischen Kontakt, mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Kultursensible Aufklärungsprogramme zur Familienplanung sind entscheidende Faktoren in der erfolgreichen Integration dieser Frauen und stellen ein Grundrecht dar, da erst so gesetzlich zugeschriebene Präventions- und Beratungsangebote angenommen werden können.
Literatur:
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Autorin:
Dr. med. Nadja Kutschke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin der Charité und ist dort für die Themenschwerpunkte Internationale, Globale und Planetare Gesundheit zuständig. Ihre Doktorarbeit hat sie 2022 zur medizinischen Versorgung von geflüchteten Frauen in Berlin erfolgreich beendet.
Kontakt:
nadja.kutschke(at)charite.de