Thomas Kunicke

Empowerment für Diversität – Allianz für Chancengerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung

Schlagwort(e): Empowerment, Gerechtigkeit, Gesundheitsversorgung

Das bundesweite Entwicklungsprojekt stärkt Kompetenzen und Strukturen für Diversitätsgerechtigkeit und Chancengleichheit in der Gesundheitsversorgung. Es umfasst diversitätsorientierte Organisationsentwicklung in Kliniken (mit Fokus auf Kliniken für Gynäkologie und Geburtsmedizin) und die Qualifizierung von Ärztinnen, Ärzten und weiterem Gesundheitspersonal zu Diversitätskompetenzen und Rassismuskritik in Aus-, Fort- und Weiterbildungsinstitutionen.

Flucht und Migration sowie die Niederlassung von Menschen aus unterschiedlichen Ländern prägen seit Jahrzehnten die Bevölkerung in Deutschland. Unsere Gesellschaft ist ein Einwanderungsland und geprägt u. a. durch ethnische, kulturelle, religiöse, soziale, sprachliche sowie nationale Vielfalt. Diese Vielfalt spiegelt sich auch im Gesundheitswesen wider – sowohl bei Patientinnen und Patienten als auch beim Gesundheitspersonal.

Es ist davon auszugehen, dass sich die gegenwärtigen Migrationsentwicklungen wie Fluchtmigration, Arbeitsmigration, Familienzusammenführung und Fachkräfteanwerbung weiter fortsetzen werden. Migration hat längst eine globale Dimension angenommen. Hinzu kommt die gesellschaftliche Tendenz zu sich immer stärker diversifizierenden sozialen Lebenslagen.

Verschiedene Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Einkommen und Gesundheit belegen für Frauen und Männer in Deutschland, deren Einkommen unterhalb der Grenze des Armutsrisikos liegt, eine erheblich niedrigere Lebenserwartung. Laut dem aktuellen Bericht zu Lebenslagen in Deutschland (BMAS, 2021, S. 374)1 haben die körperliche und seelische Gesundheit einen erheblichen Einfluss auf die Fähigkeit einer Person, ihr Leben zu gestalten, sich zu bilden und am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sowie am Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Die Gestaltung des Gesundheitssystems und der Medizin hat einen starken Einfluss darauf, ob bzw. inwiefern Menschen an diesen Lebensbereichen partizipieren können. In Deutschland hat das Gesundheitswesen einen klaren Auftrag zur Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger. Die Gesundheitschancen gesellschaftlich benachteiligter Menschen können je nachdem, wie responsiv die Versorgungseinrichtungen und das Gesundheitspersonal auf deren Bedürfnisse und Versorgungsbedürfnisse eingestellt sind, verbessert oder weiter beeinträchtigt werden. Um den Zugang zu Aufklärung und Informationen sowie einer qualitativ gleich guten Versorgung für alle zu ermöglichen, sind daher diversitäts- und zukunftsgerechte Strukturen und Kompetenzen notwendig.

Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte zu Migration und Gesundheit zeigt, dass gesellschaftliche Exklusion den Zugang zur Gesundheitsversorgung erschwert und in der Folge die Gesundheit negativ beeinflusst. Studien zeigen, dass für Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte in Deutschland verschiedene Hindernisse beim Zugang zur Gesundheitsversorgung bestehen, die dazu führen, dass sie weniger Gesundheitsangebote in Anspruch nehmen, eine schlechtere Versorgungsqualität erhalten und insgesamt schlechtere Gesundheitschancen haben als Menschen ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte.2 Insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund verringern Hindernisse die Nutzung verschiedener Versorgungsangebote (Frank et al., 2017).

Das bundesweit agierende Entwicklungsprojekt „Empowerment für Diversität – Allianz für Chancengerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung“, das seit März 2023 an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Gynäkologie, Campus Virchow Klinikum, angesiedelt ist und von der Stiftung Mercator mit einer Laufzeit von drei Jahren gefördert wird, setzt sich mit der Stärkung von Kompetenzen und Strukturen für Diversitätsgerechtigkeit und Chancengleichheit in der Gesundheitsversorgung auseinander. Das Projektteam besteht aus sechs Mitarbeitenden, der Projektleitung sowie sechs Studierenden, die das Kernteam in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen unterstützen.

Das Projektvorhaben besteht aus fünf elementaren Bereichen:

  1. Partizipativ angelegter diversitätsorientierter Organisationsentwicklungsprozess (OE) in Gesundheitsversorgungseinrichtungen (mit Fokus auf Kliniken für Gynäkologie und Geburtsmedizin)
  2. Stärkung von Kompetenzen und Haltungen für Diversitätsgerechtigkeit durch Aus-, Fort- und Weiterbildung von Ärztinnen, Ärzten und weiterem Gesundheitspersonal in Bildungsinstitutionen (Qualifizierung)
  3. Etablierung einer bundesweiten Allianz wichtiger Akteure und Institutionen (Netzwerk)
  4. Schaffung von Sichtbarkeit der Diskriminierungsrisiken in der Gesundheitsversorgung und gesellschaftliche Chancen von Diversitätsgerechtigkeit durch eine starke Öffentlichkeitsarbeit
  5. Begleitforschung mit dem Ziel der Qualitätskontrolle und Auswertung der umgesetzten Maßnahmen in Kliniken und Bildungsinstitutionen.

Der Fokus des Projekts „Empowerment für Diversität“ liegt auf Rassismus, betrachtet diesen allerdings nicht isoliert von weiteren Diskriminierungsformen, sondern nimmt auch deren Zusammenwirken in den Blick. Im dritten und vierten Quartal 2023 fanden vier Auftaktveranstaltungen in den Bereichen Organisationsentwicklung, Netzwerkaufbau und Qualifizierung statt, zu denen die ausgewählten „Empowerment-Partner“ (Kooperationspartnerinnen und -partner) eingeladen wurden, um sich kennenzulernen und anschließend gemeinsam in den Fachaustausch zu gehen.

Beginnend mit dem Auftakt der Veranstaltung für Kliniken im Bereich Organisationsentwicklung Ende September 2023, finden seither die ersten Treffen mit den Zuständigen aus den Kliniken statt. Im Frühjahr 2024 wird es in den einzelnen Institutionen jeweils Auftaktveranstaltungen geben, bei denen IST-Analysen erhoben werden, um Konzepte zum Abbau von Diskriminierungsrisiken zusammen mit den Partnerinnen und Partnern zu entwickeln und umzusetzen. In einem ersten moderierten Prozess findet hierbei ein Austausch über folgende drei Punkte statt:

  1. Bereits Vorliegendes und Ressourcen in der Klinik gegen Diskriminierung und Rassismus
  2. Problembereiche
  3. Mögliche Maßnahmen

Parallel startet der Organisationsentwicklungsprozess in den Kliniken, beginnend mit der Bildung eines eigenen Steuerkreises unter Beteiligung der Leitung der Klinik bzw. Institution, Einbeziehung von Menschen/Gruppen, die in der Einrichtung bereits an der Entwicklung von Antidiskriminierungsstrategien und -maßnahmen beteiligt sind/waren, Repräsentation verschiedener Berufs- und Statusgruppen, Festlegung von Prozessstrukturen, Verantwortlichkeiten u. a.

Eine Übersicht der deutschlandweit sieben partizipierenden Kliniken sowie mehr Hintergrundinformationen bzgl. des Aufbaus von Strukturen, der Umsetzung der Schritte und Maßnahmen und die Voraussetzungen und Erfolgsbewertung finden Interessierte unter https://diversity.charite.de/diversity_projekte/empowerment_fuer_diversitaet/organisationsentwicklung_in_kliniken/

Die Auftaktveranstaltungen zur Etablierung eines bundesweiten Netzwerks im Oktober und November dienten dem Zweck, die jeweils ausgewählten Mitglieder des Projekt- und Praxisbeirats zusammenzubringen. Hier wurde ebenfalls ein Rahmen kreiert, indem sich die Mitglieder untereinander kennenlernen konnten, um anschließend gemeinsam in den Fachaustausch zu gehen. Der Projektbeirat Empowerment setzt sich aktuell aus 21 Vertreterinnen und Vertretern der Gesundheitsversorgung, Wissenschaft, Bildung sowie politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern zusammen. Er wird dem Vorhaben beratend zur Seite stehen und dabei unterstützen, die Projektziele zu erreichen. Die Beratung und Unterstützung umfasst dabei z. B. das Einbringen relevanter Projektthemen in politische Entscheidungsgremien sowie die fachliche Beratung zu entwickelten Maßnahmen.

Auch wird es einen wechselseitigen Informationsprozess untereinander geben sowie regelmäßige Beiratstreffen. Die Beiratsmitglieder werden dabei politisch und fachlich über aktuelle Entwicklungen informiert, während sie im Umkehrschluss über Handlungsbedarfe aus der Projektpraxis auf dem aktuellen Stand gehalten werden, sodass eine enge Verzahnung zwischen politischen Prozessen sowie wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Praxis in Kliniken und Bildungsinstitutionen geschaffen wird.

Für den intersektionalen Ansatz des Projekts wurde der Praxisbeirat Diversität aufgebaut, der aus über 30 Fachleuten besteht. Neben der Diskriminierung aufgrund der (zugeschriebenen) Herkunft setzen sie sich auch mit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, des Gewichts, des Alters und aufgrund von Behinderung auseinander und entwickeln in ihren Wirkungsfeldern Maßnahmen, um der Ungleichbehandlung entgegenzuwirken. Diese Perspektiven und Expertisen werden konzeptionell in die Projektprozesse in den Kliniken sowie im Bereich der Qualifizierung von Gesundheitspersonal und Ärztinnen und Ärzten eingebunden. Durch die Zusammenarbeit mit dem Praxisbeirat möchte das Projekt gewährleisten, dass die Anliegen der Menschen, die von Rassismus und weiteren Diskriminierungsformen betroffen sind, von Institutionen wahrgenommen und dass gemeinsam Impulse für die Praxis gesetzt werden.
Eine Übersicht mit Listen, Statements und Expertisen der Beiratsmitglieder ist hier zu finden:
https://diversity.charite.de/diversity_projekte/empowerment_fuer_diversitaet/bundesweites_netzwerk/

Für den Bildungsbereich gab es, ebenso wie im Bereich der Kliniken, ein erstes Kennenlernen der einzelnen Institutionen, und ein Ablaufplan über die anstehende Zeit der Zusammenarbeit wurde präsentiert. Im Bereich Qualifizierung3 in der Aus-, Fort-, und Weiterbildung kooperiert das Projekt deutschlandweit mit zehn Kooperationspartnerinnen und -partnern. Bei der Auftaktveranstaltung Mitte November wurden die einzelnen Projektvorhaben vorgestellt und erste Überlegungen formuliert, wie die erstellten Materialien in die Lehrcurricula der Institutionen aufgenommen werden könnten, um Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Ziel ist es, bestehender Diskriminierung durch Qualifizierung entgegenzuwirken. Daher fördert das Projekt die Entwicklung von Lehrveranstaltungen sowie die Konzeption und Produktion von Lehr- und Lernmaterial zur Entwicklung von Diversitätskompetenzen und Sensibilisierung für Diskriminierungsrisiken in der Gesundheitsversorgung sowie die Entwicklung einer rassismuskritischen Haltung im Studium der Humanmedizin, in gesundheitsbezogenen Studiengängen, in Ausbildungen von Pflege- und anderen Gesundheitsberufen und in der Fort- und Weiterbildung von Gesundheitspersonal.

Förderung:

Stiftung Mercator (Drittmittel)

Laufzeit:

März 2023 bis Februar 2026

Weitere Informationen:

https://www.empowerment.charite.de

Literatur:

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2021): Lebenslagen in Deutschland. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Startseite/start.html (Zugriff 23.08.2021)
https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Soziale-Sicherung/6-arb-langfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=4
Frank, L., Rommel, A., & Lampert, T (2017). Die gesundheitliche Situation von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. WIdO-GGW Jg. 17, Heft 2
https://www.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Publikationen_Produkte/GGW/wido_ggw_0217_frank_etal.pdf

Autor:

Thomas Kunicke ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Projekt „Empowerment für Diversität“ an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Gynäkologie.

Kontakt:

thomas.kunicke(at)charite.de

 

Quellen

1www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Broschueren/a101-21-sozialbericht-2021.html
2www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/gesundheit/330137/migration-und-gesundheit/
3diversity.charite.de/diversity_projekte/empowerment_fuer_diversitaet/qualifizierung/


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