Katja Lindner, Ute Merkel

Die psychiatrische Versorgung durch die Internationale Praxis Dresden

Schlagwort(e): Geflüchtete, Gesundheitsversorgung, Psychische Gesundheit, Traumatisierung, Ukraine

Autorinnen: Katja Lindner, Ute Merkel¹

 

1. Einleitung

In der Ausgabe 3/2022 des Infodiensts Migration, Flucht und Gesundheit wurden Prävalenzen für psychiatrische Erkrankungen bei Geflüchteten am Beispiel der PTBS sowie die gesetzlichen Behandlungsansprüche in Deutschland beschrieben (Lindner, 2022). Trotz der rechtlichen Integration der Geflüchteten aus der Ukraine in die Regelversorgung ab dem 1. Juli 2022 bzw. des Wegfalls der leistungsrechtlichen Einschränkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) bestehen bestimmte Herausforderungen auch bei der Versorgung Geflüchteter aus der Ukraine fort. Im Beitrag werden zunächst einige grundlegende Problematiken bei der Versorgung Geflüchteter in Deutschland skizziert. Daran anschließend wird ein Lösungsansatz beschrieben, der mit der Internationalen Praxis Dresden und insbesondere mit der dortigen psychiatrischen Sprechstunde verfolgt wird. Nach einem kurzen Blick auf die Entwicklung der Praxis, die Personalstruktur und das entstandene Netzwerk werden Daten zur Anzahl der versorgten Patientinnen und Patienten sowie zu den psychiatrischen Diagnosen vorgestellt. Zusätzlich werden Herausforderungen der psychiatrischen Versorgung in der Internationalen Praxis Dresden und erste Erfahrungen mit der Fluchtmigration aus der Ukraine beschrieben. Abschließend werden Handlungsbedarfe formuliert, die sich aus der Analyse der Versorgungsbarrieren Geflüchteter einerseits und den Erfahrungen aus der psychiatrischen Sprechstunde der Dresdner Internationalen Praxis andererseits ableiten lassen.

2. Herausforderungen bei der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung Geflüchteter in Deutschland

Der Zugang Geflüchteter zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland ist „prekär“ (Töller, Reiter, Günther & Walter, 2020, S. 37). Zu den hauptsächlichen Problembereichen gehören die Identifikation von besonderer Schutzbedürftigkeit und Behandlungsbedarfen nach der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013², die praktische Definition und Umsetzung der Rechtsansprüche, der bürokratische Zugang über Behandlungsscheine, die Kostenübernahme für die Sprachmittlung und die Frage der Behandlungskapazitäten (vgl. Töller et al., 2020; BAfF, 2020a; Lindner, 2022). Im Folgenden werden die beiden letztgenannten Bereiche skizziert, da sie auch für Geflüchtete aus der Ukraine in der medizinischen Regelversorgung von erheblicher Relevanz sind.

2.1 Kapazitäten der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung Geflüchteter

Auf Psychotherapien müssen Menschen in Deutschland durchschnittlich mehrere Monate warten (Ärzteblatt, 2022). Für Geflüchtete gestaltet sich die Situation in der Regel noch schwieriger, obwohl sie in Bezug auf psychische Erkrankungen häufig höhere Bedarfe haben (vgl. Lindner 2022)³. Unter anderem fehlt es auch bereits in den (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen an entsprechenden psychologischen Unterstützungsangeboten (Wahedi et al., 2020, S. 1463). Vor allem – aber nicht nur – in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts, wenn Geflüchtete im Allgemeinen noch keinen gesetzlichen Zugang zur Regelversorgung⁴ haben, sind die bundesweit existierenden Psychosozialen Zentren (PSZs)⁵ von besonderer Relevanz; sie schließen teilweise bestehende wesentliche Versorgungslücken (vgl. SVR, 2022, S. 135)⁶. In ihnen kommen mehrsprachige, interkulturell geschulte und interprofessionell ausgerichtete Teams aus Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Psychologinnen und Psychologen, Sozialarbeitenden und Sprachmittelnden zum Einsatz. Das deutschlandweite Netz der Psychosozialen Zentren wurde insbesondere seit 2015 deutlich erweitert.

Die „Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer“ (BAfF) veröffentlicht regelmäßig und zuletzt 2022 statistische Daten zu den durch die Zentren versorgten Geflüchteten. Demnach konnten die PSZs und ihre Kooperationspartnerinnen und -partner den von ihnen geschätzten Versorgungsbedarf bei Geflüchteten in Deutschland im Jahr 2020 nur zu 4,6 Prozent abdecken. 19.352 Klientinnen und Klienten wurden in PSZs behandelt, 6.113 konnten weitervermittelt und 9.720 Personen mussten aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden. Bei den 39 PSZs in Deutschland besteht eine durchschnittliche Wartezeit von 6,7 Monaten auf einen Therapieplatz (BAfF, 2022, S. 92).

Die Weitervermittlung von den PSZs zu niedergelassenen (Fach-)Ärztinnen und Ärzten, Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Sozialberatungsstellen und Kliniken u. a. m. ist aufgrund unzureichender Fachkenntnisse und Berührungsängsten oft schwierig (BAfF, 2022): Konkret bestehen aus Sicht niedergelassener Psychotherapeutinnen und -therapeuten folgende Problembereiche: die von einem unsicheren Aufenthaltsstatus (und damit unsicherer therapeutischer Perspektive) geprägten Lebensbedingungen der Geflüchteten, die Finanzierung und aufwendige Beantragung von Psychotherapien, kulturelle Unterschiede und die unklare Kostenübernahme der Sprachmittlung (Thöle, Penka, Brähler, Heinz, & Kluge 2017 S. 148ff). Im Versorgungsbericht 2020 der BAfF wurden außerdem erhebliche regionale Unterschiede (Stadt/Land sowie Ost/West) hinsichtlich der Quoten einer erfolgreichen Weitervermittlung geflüchteter Patientinnen und Patienten in die Regelversorgung beschrieben. Demnach gelingt eine Weitervermittlung zu Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Metropolen doppelt so häufig wie in ländlichen Regionen, während dort eher eine Vermittlung zu niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiatern sowie in Kliniken gelingt. Im Osten Deutschlands ist die Vermittlungsquote an niedergelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten dreimal geringer (BAfF, 2020, S. 109). Die Tatsache, dass es im Osten Deutschlands aus historischen Gründen und migrationsbedingt mehr einheimische sowie migrierte Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und-therapeuten mit Russischkenntnissen geben dürfte, könnte die Integration der Geflüchteten aus der Ukraine jedoch erleichtern. Genaue Daten hierzu liegen noch nicht vor. Entsprechend einer Statistik der Sächsischen Landesärztekammer kamen aber von den insgesamt knapp 3.000 ausländischen Ärztinnen und Ärzten (im Allgemeinen) in Sachsen im Jahr 2021 5 Prozent aus der Ukraine und 6 Prozent aus der Russischen Föderation⁷.

Insgesamt lässt sich bisher hinsichtlich der Integration in die Regelversorgung keine positive Entwicklung erkennen (BAfF 2022, S. 95f). Trotz der Unabdingbarkeit der Arbeit der PSZs ist deren Finanzierung regelmäßig befristet, was zu einem permanenten hohen Verwaltungsaufwand und Unsicherheit führt. Nur 3,7 Prozent der Gesamtfinanzierung erfolgte durch eine Kostenerstattung durch gesetzliche Leistungsträger, vor allem nach dem AsylbLG. Vielmehr sind es vor allem projektbezogene Landesmittel sowie auch kommunale Gelder, Bundes- und EU-Mittel, die zur Finanzierung beitragen (BAfF, 2022, S. 97). Häufig werden Anträge auf Kostenübernahme für Therapien durch Sozialämter abgelehnt, was u. a. an den eingangs erwähnten rechtlich-administrativen Ermessensspielräumen der Leistungsgewährung und der unzureichenden Identifizierung besonderer Bedarfe bzw. besonderer Schutzbedürftigkeit liegt.

2.2 Finanzierung der Sprachmittlung

Sprachliche Verständigung ist unabdingbar für die gesundheitliche Versorgung im Allgemeinen und für die Behandlung psychischer Erkrankungen im Besonderen. Ärztinnen und Ärzte tragen ein Haftungsrisiko bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten und können (außer in Notfällen) eine Behandlung ablehnen, wenn sie eine ausreichende Verständigung mit ihnen nicht gewährleistet sehen (vgl. Lindner 2021a). Der Einsatz von Familienmitgliedern – insbesondere der von Kindern – oder Freundinnen bzw. Freunden zur Übersetzung bei psychiatrischen Gesprächen ist grundsätzlich problematisch. Wenn geeignete Sprachmittelnde zur Verfügung stehen, stellt sich im Fortgang die Frage der Finanzierung. Nach dem AsylbLG ist eine Kostenübernahme der Sprachmittlung teilweise als Ermessensleistung möglich (§§ 4 oder 6 AsylbLG), im Rahmen der Regelversorgung über die GKV bzw. SGB ist dies bisher ausgeschlossen (Lindner, 2021a, S. 14)⁸. Davon sind also auch die in die Regelversorgung integrierten Geflüchteten aus der Ukraine betroffen. Derzeit bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung dieser Problematik, dem Koalitionsvertrag entsprechend, Abhilfe schafft (vgl. SVR, 2022, S. 157f). Bei der Versorgung durch Kliniken können diese auch für die Kostenübernahme der Sprachmittlung herangezogen werden (Deutscher Bundestag, 2017). In der Praxis gestaltet sich die sprachsensible Versorgung in psychiatrischen Kliniken jedoch schwierig. Oft gelingt es nur durch dort tätige Muttersprachlerinnen und Muttersprachler, zum Teil aus anderen Fachrichtungen, durch Angehörige mit Deutschkenntnissen (oft auch den Kindern) oder ehrenamtliche Dolmetscherinnen und Dolmetscher bei den stationären Behandlungen eine Mindestverständigung abzusichern.  

3. Die psychiatrische Versorgung durch die Internationale Praxis Dresden

3.1 Die Geschichte der Dresdner Flüchtlingsambulanz

Bereits vor dem Sommer 2015 gab es bei verschiedenen Akteuren ein Bewusstsein um praktische Versorgungsbarrieren, gesetzliche Versorgungsverpflichtung und steigende Flüchtlingszahlen. Eine ehrenamtliche Initiative entwickelte ab Dezember 2014 im Austausch mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen und der Landeshauptstadt Dresden das Konzept für eine Flüchtlingsambulanz (Lindner, Taché, Tacke, Denzin, & Prehn, 2015). Aufgrund des im Sommer 2015 enorm gestiegenen Handlungsdrucks hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung neu ankommender Geflüchteter wurden auf Veranlassung des Freistaats Sachsen tatsächlich solche Ambulanzen zunächst in Dresden, dann in Leipzig und Chemnitz eingerichtet⁹ – damit wurden u. a folgende Ziele verfolgt: die Gewährleistung von vor allem primärmedizinischer Versorgung von Asylsuchenden auf Basis des AsylbLG mithilfe eingestellter mehrsprachiger Ärztinnen und Ärzte, Praxispersonal und Sprachmittelnder, die Entlastung des niedergelassenen Systems und der kommunalen Verwaltung, die Verbesserung der Versorgungsqualität durch die gebündelte Fach- und interkulturelle Kompetenz sowie die Förderung der gesundheitlichen und gesellschaftlichen Integration (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, 2015a, b). Während die Stadt Leipzig sich später gegen die Fortführung des Modellprojekts entschied und dies mit der anvisierten Integration in die Strukturen der Regelversorgung begründete (Stadt Leipzig, 2016), existieren die Praxen in Dresden und Chemnitz auch über das Jahr 2022 hinaus. Mit nach 2015/16 zurückgehenden Flüchtlingszahlen und der zunehmenden rechtlichen Integration der Asylsuchenden (nach 18 Monaten Wartezeit) in die Regelversorgung kam es zu einer Umbenennung der Ambulanzen in „Internationale Praxen“, die seitdem Anlaufpunkt für weitere Personenkreise mit Migrationshintergrund darstellen.

Die Internationale Praxis in Dresden wird betrieben durch die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen und finanziert sich anteilig durch die Abrechnung der Leistungen über Behandlungsscheine und Krankenkassenkarten. Eine Restkostenfinanzierung erfolgt auf vertraglicher Basis durch den Freistaat Sachsen bis zu einer festgelegten Höhe¹⁰.

3.2 Personalstruktur der Internationalen Praxis Dresden und Verweisungsnetzwerk

Im Kern handelt es sich um ein primärmedizinisches – also vor allem hausärztliches (mit psychosomatischer Grundversorgung) – sowie kinderärztliches, gynäkologisches und psychiatrisches Versorgungsangebot unter steter Einbeziehung von Sprachmittelnden, medizinischen Fachangestellten, Verwaltungsmitarbeitenden und einer Praxiskoordinatorin. Die wesentlichen Vorteile einer solchen Praxis sind die Bündelung von medizinischer, interkultureller und fremdsprachlicher Kompetenz, das interprofessionelle Arbeiten sowie die Entlastung niedergelassener und kommunaler Strukturen auch von Verwaltungsaufwand. Das Personal hat teilweise selbst Migrationserfahrungen und/oder Berufserfahrungen im Ausland gemacht. Derzeit bestehen in der Internationalen Praxis Sprachmittlungsmöglichkeiten für die Sprachen Arabisch, Kurdisch, Farsi, Paschtu, Urdu, Dari, Russisch, Georgisch, Englisch, Französisch und Spanisch. Die Praxis ist täglich geöffnet. Die Grafik 1 im Anhang gibt einen Einblick in die Personalstruktur und das Träger-, Verweisungs-, und Kooperationsnetzwerk der Internationalen Praxis Dresden, das seit 2015 besteht, wobei es aber immer wieder zu Veränderungen kam. Als ein wichtiger Kooperationspartner kam das später eingerichtete Psychosoziale Zentrum Dresden hinzu, wohingegen die Traumaambulanz der Uniklinik Dresden kapazitätsbedingt keine Patientinnen und Patienten der Internationalen Praxis mehr aufnehmen kann. Hervorzuheben ist zudem die Kooperation mit dem niedrigschwelligen Angebot der sogenannten Krisensprechstunde in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen (Pabel, Bilz & Schellong, 2020)

3.3 Gesamtzahlen zu Patientinnen und Patienten und Herausforderungen der psychiatrischen Versorgung

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Gesamtzahl der Kontakte zu Patientinnen und Patienten sowie der Behandlungsfälle in den Jahren 2020 und 2021, über den Anteil verschiedener Kostenträger sowie über die Zahlen zu psychiatrischen Gesprächen durch die Psychiaterin und Behandlungen im Zuge der psychosomatischen Grundversorgung durch die Hausärztinnen und -ärzte der internationalen Praxis.

 

 

2020

2021

Anzahl Kontakte mit Patientinnen und Patienten

19.287

19.133

Anzahl Behandlungsfälle (= Personen)

9.555

9.522

Anzahl Neupatientinnen und Neupatienten
davon Landesdirektion/Erstaufnahme (in %)

1.589
978 (61,55 %)

1.725
1.145 (66,38 %)

Prozentueller Anteil von GKV-Patientinnen und -Patienten (Patientinnen und Patienten mit
elektronischen Gesundheitskarten)

70,3–80,7 %

77,0–81,6 %

Prozentueller Anteil von sonstigen Kostenträgern
(Patientinnen und Patienten mit Behandlungsscheinen)

19,3–29,7 %

18,4–23,0 %

Jugendliche und Kinder bis zu 18 Jahren

3.213

3.061

Psychiatrische Gespräche
Durchschnitt pro Quartal

1.035
249

1.172
360

Psychosomatische Grundversorgung

273

279

Tabelle 1: Überblick Zahlen zu Patientinnen und Patienten in den Jahren 2020/2021

 

Deutlich wird aus der Statistik v. a. ein hoher Anteil von Patientinnen und Patienten mit einer elektronischen Gesundheitskarte (zusammengefasst hier als „GKV-Patientinnen und -Patienten“). Hierzu gehören in der Landeshauptstadt Dresden auch Patientinnen und Patienten, die den Einschränkungen des AsylbLG unterliegen, also (noch) keine GKV-Patientinnen und -Patienten im engeren Sinne sind, aber schon eine elektronische Gesundheitskarte haben¹¹. Alle Geflüchteten in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, den Landkreisen und nach § 1a AsylbLG sanktionierte Asylsuchende aus Dresden erhalten ausschließlich Behandlungsscheine.

Bei der Einrichtung der Flüchtlingsambulanz im Jahr 2015 lag der Schwerpunkt demgegenüber auf den neu ankommenden Asylsuchenden und Bezieherinnen und Beziehern von Leistungen nach dem AsylbLG mit Behandlungsscheinen. Für ein besseres Verständnis der Daten ist es wichtig anzumerken, dass das Angebot der psychiatrischen Sprechstunde seit November 2018 nur noch an einem Tag in der Woche besteht. Deshalb erfolgen alle Erstvorstellungen psychiatrischer Patientinnen und Patienten bei den Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern der Internationalen Praxis. Diese übernehmen auch die Erstversorgung, stellen Erstdiagnosen und beginnen ggf. eine Medikation mit Psychopharmaka im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung. Bei psychiatrischen Notfällen erfolgt eine direkte Vorstellung in der psychiatrischen Sprechstunde. Seit November 2018 gibt es wöchentlich vor der psychiatrischen Sprechstunde eine Fallbesprechung aller Ärztinnen und Ärzte der Internationalen Praxis zu psychisch erkrankten Patientinnen und Patienten, zur Indikation einer Weiterbehandlung, zu den diagnostischen Zuordnungen der Symptomatik und zur Sicherung der Diagnosen. Weitere Zuweisungen an die Psychiaterin der Internationalen Praxis erfolgen durch das Netzwerk (siehe auch Grafik 1 im Anhang) mit der Flüchtlingssozialarbeit, den Medipoints der (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen, dem Psychosozialen Zentrum, durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte (vor allem der Allgemeinmedizin) u. a. m. In Notfällen kommt es auch zu direkten Vorstellungen. Der Aufnahmedruck bzw. der Bedarf für eine psychiatrische Behandlung ist groß, auch deshalb, weil nach der Umverteilung der Geflüchteten auf die Landkreise eine Eingliederung in das ambulante psychiatrische Versorgungssystem nur sehr selten gelingt. Neben ohnehin bestehenden Kapazitätsengpässen bei der psychiatrischen Versorgung, insbesondere in den Landkreisen, ist es der Erfahrung nach vor allem auch der administrative Aufwand, der das Kollegium abschreckt (vgl. Thöle et al., 2017, S. 148ff; siehe oben). Außerdem kann eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung nur in wenigen Ausnahmefällen (bei ausreichenden Deutschkenntnissen der Patientinnen und Patienten) ohne Dolmetschende umgesetzt werden. Eine weitere Hürde, die ambulante psychiatrische Versorgung der Asylsuchenden in den Landkreisen zu verbessern, ist die häufig restriktive Genehmigung von Behandlungsscheinen (oder z. B. Heil- und Hilfsmitteln) durch die Sozialämter in den Landkreisen.

Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden der Flüchtlingssozialarbeit vor Ort ist aufwendig, sie bedarf vieler Kontakte seitens der Psychiaterin der internationalen Praxis, z. B. wenn es um Unterstützungs- und Eingliederungshilfen, Genehmigung von Heil- und Hilfsmitteln usw. geht. Diesbezüglich wäre die Stelle einer Sozialarbeiterin oder eines Sozialarbeiters für die Internationale Praxis sehr hilfreich. Im Arbeitsfeld der medizinischen und vor allem der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung Geflüchteter wird der strukturell bedingte sozialarbeiterische Mehraufwand im Vergleich zu nicht migrierten Patientinnen und Patienten in der Regelversorgung besonders deutlich. Und dieser kann nicht durch das medizinische Personal allein abgefangen werden. So bringt die psychiatrische Versorgung Geflüchteter weitere zwingend notwendige Aufgaben wie die Identifikation besonderer Schutzbedürftigkeit (bei fehlenden Vorgaben des Bundes und des Landes) mit sich sowie auch das Erstellen von Gutachten.

3.4 Psychiatrische Diagnosen in der Internationalen Praxis Dresden

Das Klientel der psychiatrischen Sprechstunde ist breit gefächert, was auch mit der umfangreichen Qualifikation der Psychiaterin (drei fachärztliche Qualifikationen und langjährige Erfahrungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie) in Zusammenhang steht. Von großem Vorteil sind bei der psychiatrischen Diagnosestellung auch das interprofessionelle Zusammenarbeiten und die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeitenden. Durch die regelmäßigen Beratungen wurden zudem auch die psychiatriebezogenen diagnostischen Einschätzungen der nicht psychiatrischen Ärztinnen und Ärzte der Praxis konkreter. Waren es zuvor oft somatische bzw. symptomatische Einschätzungen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Erschöpfung usw., gelang es über das Verstehen und die Einordnung der Psychosomatik, die Psychogenese der Beschwerden besser zu erkennen¹². In vielen Kulturen der Herkunftsländer der Geflüchteten sind seelische Erkrankungen als solche überhaupt nicht sozialisiert, bekannt oder behandelt, was u. a. Auswirkungen auf ihre Symptomschilderung hat.

Im Folgenden wird ein Überblick über die Zahlen der psychiatrischen Diagnosen der behandelten Patientinnen und Patienten in den Jahren 2020 und 2021 gegeben. Dabei ist es wichtig anzumerken, dass sich sehr oft bei einzelnen Patientinnen und Patienten sogenannte Doppeldiagnosen finden. Die diagnostizierten Syndrome werden unter Berücksichtigung der IDC-10-Verschlüsselung¹³ beschrieben; zum Beispiel: mittelschweres depressives Syndrom (F32.1) mit Angst (F42.1) und Somatisierungsstörung (F45.37) bei posttraumatischer Belastungsstörung (F43.1). Alle Diagnosen werden durch intensive Exploration, Erhebung von Fremdanamnesen, Einbeziehung der Screening-Ergebnisse des Psychosozialen Zentrums, von Vorbefunden anderer Behandlerinnenund Behandleru. a. gesichert.

 

ICD 10 Nummer

Krankheitssymptome:

Fallzahl 2020

Fallzahl 2021

F3

Affektive Störungen, Angst, Panik u. a.

406

515

F4

F43.1

Belastungs-, Somatisierungs-, Dissoziative u. a. Störungen
Posttraumatische Belastungsstörung

927

312

1073

356

Bei Kindern und Jugendlichen:

 

F8

Entwicklungsstörungen

230

441

F9

Emotionale Störung mit Beginn in Kindheit und Jugend

83

105

Weitere unspezifische Symptome:

 

 

Schmerzen ohne organischen Befund in verschiedenen Körperbereichen

593

527

 

Müdigkeit, Erschöpfung, Unwohlsein, Gewichtsverlust u. a.

132

114

 

Juckreiz, dermatologische Auffälligkeiten, Haarausfall u. a.

125 

157

 

Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität

46

58

Tabelle 2: Überblick Daten zu psychiatrischen Diagnosen 2020/ 2021

 

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass der Anteil der psychiatrisch zu behandelnden Patientinnen und Patienten wesentlich höher ist, als es die Zahlen hier zeigen. Sowohl die Behandlungsfälle als auch die Zahlen der Diagnosen erhöhen sich stetig. Viele Patientinnen und Patienten werden erst nach Jahren psychiatrisch vorstellig, nachdem ihre körperlichen Beschwerden in der somatischen Medizin nicht mit Erfolg behandelt werden konnten. Es ist anzunehmen, dass die Zahlen der psychiatrischen Patientinnen und Patienten in der Internationalen Praxis zukünftig weiter zunehmen, nicht nur wegen der Folgen von internationalen Konflikten und Fluchtmigrationen, sondern auch wegen einer geplanten Ausweitung des psychiatrischen Versorgungsangebots der Internationalen Praxis Dresden.

3.5 Die Arbeit der Internationalen Praxis Dresden seit Beginn der Flüchtlingsmigration aus der Ukraine – Interpretation der Situation

Im Jahr 2022 gab es einen deutlichen Anstieg der Neupatientinnen und Neupatienten im Vergleich zu den Quartalen in 2020 und 2021. Seit Ende Februar 2022 sind ca. 600 zusätzliche Patientinnen und Patienten, die aus der Ukraine stammen, in der Internationalen Praxis behandelt worden. Dabei zeichnet sich ab, dass es sich bei den neuen Patientinnen und Patienten vor allem um Kinder und ältere, mehrfach kranke Menschen handelt In der psychiatrischen Sprechstunde sind bisher jedoch kaum Menschen aus der Ukraine vorstellig geworden (vier Personen; Stand 08/2022). Zu den Diagnosen zählten akute psychotische Dekompensation bei bekannter rezidivierender Depression, Zustand nach Retraumatisierung durch den Krieg, Anpassungsstörung mit depressivem Syndrom nach Entwurzelung, durch Krieg und Flucht sowie bereits im Heimatland chronifizierte depressive und psychotische Erkrankung
(Quelle: KV Abrechnungsunterlagen der Internationalen Praxis Dresden; Stand August 2022).

Versuch einer Erklärung

Die geringe Zahl der psychiatrischen Patientinnen und Patienten aus der Ukraine könnte unterschiedliche Gründe haben. Einerseits ist die Aufenthaltsdauer noch nicht so weit fortgeschritten und es kann zu einer zeitverzögerten Manifestierung (erstmaliger) psychiatrischer Symptome sowie zu einer Fokussierung zunächst auf die Unterbringung, körperliche und materielle Sicherheit und Arbeitsmarktintegration kommen. Andererseits kamen viele der Geflüchteten privat unter und vielleicht wurden hierbei Betroffene durch die Gastgeberinnen und Gastgeber und andere Helferinnen und Helfer oder länger hier lebende Angehörige auch direkt zu deren Ärztinnen und Ärzten vermittelt. Geflüchtete aus der Ukraine dürften durch die rechtliche Eingliederung in die Regelversorgung und den im Osten Deutschlands vergleichsweise hohen Anteil russischsprachiger Ärztinnen und Ärzte (siehe oben) bessere Chancen für eine Integration in das ambulante (psychiatrische) Versorgungssystem als Geflüchtete aus anderen Ländern haben. Bei Personen aus der Ukraine mit bereits länger bestehenden psychiatrischen Erkrankungen stellt sich zudem die Frage, inwieweit sie überhaupt flüchten konnten. Denn es kann auch zu Effekten von Selbstselektion im Rahmen der Fluchtbewegungen kommen, wodurch eher gesündere Menschen es schaffen zu flüchten. Ein Teil der Versorgung psychiatrisch vorerkrankter Personen – etwa die Weiterverordnung einer bereits länger bestehenden Medikation – kann zudem durch Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung abgedeckt werden.

Für den Raum Dresden und Umgebung sind zudem noch drei Initiativen/Projekte von Bedeutung für die psychiatrische und therapeutische Versorgung Geflüchteter aus der Ukraine¹⁴ : Zum einen existiert seit dem Frühjahr 2022 eine ehrenamtliche muttersprachliche Initiative von ärztlichem und therapeutischem Fachpersonal, die sich für die Versorgung ukrainischer Geflüchteter engagiert. Darüber und über die große Nachfrage von Betroffenen hat einer der muttersprachlichen Ärztinnen und Ärzte beim Runden Tisch zur Versorgung traumatisierter Flüchtlinge in Dresden und Umgebung im Juni 2022 berichtet. Zum zweiten konnte am Psychosozialen Zentrum Dresden durch Fördermittel des Sächsischen Sozialministeriums Personal aufgestockt und im August 2022 ein neues Projekt zur psychosozialen Versorgung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen gestartet werden. Bei allen Projekten der PSZs in Deutschland ist die Sprachmittlung von großer Relevanz. Drittens wäre das Projekt „Lebenswege“ von der Caritas für geflüchtete Kinder und Jugendliche (auch aus der Ukraine) hervorzuheben.

4. Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen

Im Beitrag wurden einige strukturelle Barrieren bei der psychiatrischen Versorgung Geflüchteter im Allgemeinen aufgezeigt. Mit der Vorstellung der Arbeit der Dresdner Internationalen Praxis wurde skizziert, auf welche Weise Akteure der Praxis vor Ort in Kooperation mit Verwaltungsakteuren erfolgreich versuchen, diese strukturellen Lücken zu schließen. In Dresden entschied man sich für die Variante eines migrationsspezifischen Angebots. Im Rahmen des Modells können die eingangs besprochenen Kapazitätsprobleme einerseits und die Probleme der Sprachmittlung andererseits behoben werden. Nichtsdestoweniger geht damit für die Praxis ein enormer Aufwand an Verwaltung, sozialarbeiterischen Tätigkeiten und der Bedarf an zusätzlichen Finanzmitteln einher. Im Beitrag wurde auch deutlich, dass es in Bezug auf die psychiatrische Versorgung zu einer Besserstellung von Geflüchteten aus der Ukraine im Vergleich zu anderen Geflüchteten kommt. Dies zeigt sich vor allem in der rechtlichen Integration der Ukraine-Geflüchteten in die (psychiatrische) Regelversorgung, aber auch in der großen Solidarität in der Bevölkerung im Allgemeinen und der Akteurinnen und Akteure im Gesundheitssektor im Besonderen. Die Solidarität, muttersprachliche Initiativen und ggf. regionale Besonderheiten (verbreitete Russischkenntnisse in der Region) kompensieren im Falle der Ukraine-Geflüchteten allgemeine strukturelle Probleme, die bei der Versorgung aller Geflüchteten gelten: erschwerte Integration von Geflüchteten in die ambulanten psychiatrischen Versorgungsstrukturen (s. o.) sowie fehlender Übernahme von Sprachmittlungskostenim Rahmen der Regelversorgung. Hierbei können Angebote wie die Dresdner Internationale Ambulanz mit ihrer psychiatrischen Sprechstunde und psychosomatischen hausärztlichen Grundversorgung Abhilfe schaffen.

Auf Basis der Analyse der Fachliteratur und der Expertise aus der Arbeit der Dresdner Internationalen Praxis möchten die Autorinnen folgende politischen Handlungsempfehlungen benennen:

  1. Der Bund sollte die Kostenübernahme der Sprachmittlung im Rahmen der medizinischen Regelversorgung beschließen. Wir empfehlen diesbezüglich die Umsetzung des Koalitionsvertrags von 2021¹⁵.
  2. Die rechtliche Integration aller Geflüchteten in die (psychiatrische) Regelversorgung erscheint sinnvoll, um ihre Bedarfe behandeln zu können und Bürokratie für alle abzubauen, insbesondere für Patientinnen und Patienten sowie Behandelnde. Die gesundheitsbezogene Ungleichbehandlung zwischen Geflüchteten sollte beendet werden.
  3. Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung der psychiatrischen Versorgung sollten umgesetzt werden, u. a. über eine Erhöhung der Zahl der Kassensitze für muttersprachliche Psychiaterinnen und Psychiater sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, zum Beispiel in der Organisationsstruktur von MVZs (Medizinischen Versorgungszentren) oder über Sonderbedarfszulassungen.
  4. Solange die bereits genannten Forderungen nicht umgesetzt werden (können), reicht es nicht, derart wichtige Praxisprojekte wie die Internationale Praxis und die deutschlandweiten Psychosozialen Zentren permanent befristet weiter zu finanzieren, sondern die Finanzierung muss auf Dauer gestellt werden. Diese Projekte kompensieren strukturelle bzw. systemische Probleme, und stete Befristungen gehen mit Personalfluktuationen und administrativem Aufwand einher, was beides unnötig ist.
  5. Sozialpsychiatrische Dienste der Kommunen und Landkreise mit ihrer zum großen Teil aufsuchenden Arbeit müssen verbindlicher in die psychiatrische Versorgung von Geflüchteten einbezogen werden und ihre Aktivitäten in diesem Bereich ausweiten.

Zwar ist langfristig eine stärker diversitätssensible Regelversorgung – jenseits von Spezialangeboten – für alle Bevölkerungsgruppen anzustreben. Bis dahin bedarf es solch spezieller Angebote mit guter Vernetzung, wie sie im Beitrag beschrieben wurden. Die rechtliche Integration der Ukraine-Geflüchteten in die medizinische Regelversorgung und die große Solidarität haben zudem gezeigt, was auch für Geflüchtete aus anderen Herkunftsstaaten¹⁶. möglich sein könnte, sofern der politische Wille besteht. Da einerseits seit September 2022 insbesondere auch in Sachsen die Geflüchtetenzahlen erneut wieder deutlich ansteigen und andererseits gesellschaftliche sowie ökonomische Krisen auch die einheimische Bevölkerung stark treffen, braucht es zwingend eine Verbesserung der psychosozialen Versorgungsstrukturen und einen erleichterten Zugang für alle Menschen.

Fußnoten

¹ Die Autorinnen lernten sich im Rahmen der ehrenamtlichen Arbeit beim Runden Tisch zur Versorgung traumatisierter Flüchtlinge in Dresden und Umgebung kennen. Dieser Runde Tisch wurde 2015 durch engagierte Therapeutinnen und Therapeuten der Klinik am Waldschlösschen in Dresden (insbesondere Friederike Engst) ins Leben gerufen. Circa einmal im Quartal treffen sich seitdem Psychiaterinnen und Psychiater, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Sozialarbeitende sowie weitere Akteurinnen und Akteure aus dem medizinischen, sozialen, behördlichen und wissenschaftlichen Bereich, um sich auszutauschen und zu vernetzen und um auf Probleme und Lösungen aufmerksam zu machen. Seit 2021 wird der Runde Tisch gemeinschaftlich vom Psychosozialen Zentrum Dresden und der Klinik am Waldschlösschen organisiert.
² Die Identifikation besonderer Bedarfe und einer besonderen Schutzbedürftigkeit Asylsuchender muss laut der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 möglichst früh im Asylverfahren erfolgen (Amtsblatt der Europäischen Union 2013). In Deutschland existieren jedoch keine Vorgaben des Bundes in Bezug auf die Feststellung dessen. Da die Richtlinie zwingend umzusetzen ist, sind die Bundesländer in der Pflicht. Nur wenige Bundesländer haben bisher landesweite Vorgaben oder Verfahren zur Feststellung der besonderen Schutzbedürftigkeit und der Bedarfe etabliert. Sachsen gehört nicht dazu (BAfF, 2020a). Geflüchtete aus der Ukraine unterliegen dieser Richtlinie nicht.
³ Anzumerken ist, dass nicht alle Geflüchteten und auch nicht alle Geflüchteten, die Traumatisierendes erlebt haben, eine psychiatrische oder psychotherapeutische Versorgung benötigen.
⁴ Zwar müssen Geflüchtete aus der Ukraine nicht in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen leben und sie haben einen rechtlichen Zugang zur Regelversorgung, aber auch sie sind von den systemischen Kapazitätsproblemen betroffen.
⁵ Der Dachverband der Psychosozialen Zentren in Deutschland ist die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF).
⁶ Ein Instrument zur Lösung dieser Problematik bei Asylsuchenden ist die Einführung spezieller Ermächtigungen für Psychotherapeutinnen und -therapeuten (ohne Kassensitz) zur Versorgung von Geflüchteten in den ersten 18 Monaten (Töller et al., 2020). Da es nach den 18 Monaten aufgrund der Gesetzesvorgaben immer zu Behandlungsabbrüchen kommen musste, urteilte das Bundessozialgericht 2021, dass die Beschränkung auf die ersten 18 Monate nicht rechtmäßig ist (Bundessozialgericht, B 6 KA 16/20 R, Urteil vom 4. November 2021).
⁷ Sächsische Landesärztekammer: Ausländische Ärzte in Sachsen 2021. Zugriff am 14.11.2022 unter: https://www.slaek.de/de/05/statistik/ausl_aerzte.php?switchtoversion=www; dabei wird ein erheblicher Teil im stationären Bereich tätig sein.
⁸ Theoretisch wäre bei Sozialhilfeempfangenden eine Ermessensentscheidung über 73 SGB XII möglich.
⁹ Da sich die großen (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen vor allem in den Großstädten befanden, kamen diese für solche Ambulanzen primär infrage.
¹⁰ Es erfolgt zudem eine Beteiligung der Landeshauptstadt Dresden (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt 2022).
¹¹ Dresden hat im Frühjahr 2020 elektronische Gesundheitskarten für Asylsuchende von Anfang an eingeführt (vgl. Lindner, 2021b).
¹² Bei der Auswertung der früheren und der fortlaufenden Diagnoseverschlüsselung wird das ganz deutlich sichtbar.
¹³  www.icd-code.de (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision)
¹⁴ Darüber wurde u. a. beim Runden Tisch zur Versorgung traumatisierter Flüchtlinge in Dresden und Umgebung berichtet.
¹⁵ „Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen wird im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V.“ (Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP 2021: 84) Zugriff am 12.10.2022 unter https://cms.gruene.de/uploads/documents/Koalitionsvertrag-SPD-GRUENE-FDP-2021-2025.pdf
¹⁶ Hier sind tatsächlich Geflüchtete aus allen Herkunftsstaaten gemeint, insbesondere aber auch jene Drittstaatlerinnen und Drittstaatler, die aus der Ukraine nach Deutschland flüchteten und sich nunmehr in einer prekären Situation befinden können.

 

5. Literatur

Amtsblatt der Europäischen Union (2013). Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung).

Ärzteblatt (2022). Lange Wartezeiten auf eine Psychotherapie. 25.05.2022. Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/134527/Lange-Wartezeiten-auf-eine-Psychotherapie

BAfF – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (2020a). Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit am Beispiel von Personen mit Traumafolgestörungen. Status quo in den Bundesländern, Modelle und Herausforderungen. Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/11/BAfF_Reader_Identifizierung.pdf

BAfF – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (2020b). Versorgungsbericht. Zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland. 6. aktualisierte Auflage. Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/10/BAfF_Versorgungsbericht-6.pdf

BAfF – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (2022). Flucht & Gewalt. Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2022. Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2022/07/BAfF_Versorgungsbericht-2022.pdf

Bühring, P. (2015). Dolmetscher und Sprachmittler im Gesundheitswesen: Regelungen zur Finanzierung nötig. In Deutsches Ärzteblatt 112(45), 1873-1874. Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=172862

Deutscher Bundestag (2017). Dolmetscher im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung. Anspruch und Kostenübernahme. Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. WD 9 - 3000 - 021/17; Zugriff am 11.11.2022 unter www.bundestag.de/resource/blob/514142/d03782888dd292a2ed12cffd271d8ecb/wd-9-021-17-pdf-data.pdf

Lindner, K., Taché, St., Tacke, R., Denzin, S., & Prehn, J. (2015). „Medical Gatekeepers for Asylum Seekers in Dresden". Ein Projekt zur verbesserten primärmedizinischen Versorgung von Asylsuchenden sowie zur Entlastung niedergelassener ÄrztInnen und kommunaler Verwaltungsstrukturen. Projektkonzept (unveröffentlicht).

Lindner, K. (2021a). Ansprüche auf Gesundheitsleistungen für Asylsuchende in Deutschland.
Rechtslage und Reformbedarfe, MIDEM-Policy Paper 02/21, Dresden.

Lindner, K. (2021b). Die Einführung elektronischer Gesundheitskarten für Asylsuchende. Asylpolitische Handlungsspielräume für Kommunen in Deutschland am Beispiel der Landeshauptstadt Dresden. In: Migration und Soziale Arbeit, Heft 3/2021, S. 216 – 225.

Lindner, K. (2022). Prävalenzen für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Geflüchteten und gesetzlicheBehandlungsansprüche in Deutschland. Ein Überblick vor dem Hintergrund der Fluchtmigration aus der Ukraine. In Im Fokus: Geflüchtete. Infodienst. Migration, Flucht und Gesundheit. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Heft 3/2022, S. 60-63.

Pabel, L., Bilz, L., & Schellong, J. (2020). Die therapeutische Krisensprechstunde für Geflüchtete in Dresdner Erstaufnahme­einrichtungen. In Trauma & Gewalt. August 2020, 14. Jahrgang, Heft 3, S. 237-243.

Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz (2015a). Praxis zur ambulanten ärztlichen Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern wird eingerichtet. Pressemitteilung vom 31.08.2015; Zugriff am 27.09.2022 unter https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/199384

Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz (2015b). Medizinische Versorgung von Asylbewerbern wird weiter verbessert. Pressemitteilung vom 13.11.2015; Zugriff am 27.09.2022 unter https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/200707

Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (2022). Internationale Praxen in Dresden und Chemnitz bleiben für weitere zwei Jahre am Netz. Pressemitteilung vom 28.078.2022: Zugriff am 20.12.2022 unter https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1053142

Stadt Leipzig (2016). Flüchtlingsambulanz schließt planmäßig. Pressemitteilung vom 09.12.2016. Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.leipzig.de/news/news/fluechtlingsambulanz-schliesst-planmaessig

SVR – Sachverständigenrat für Integration und Migration (2022). Systemrelevant: Migration als Stütze und Herausforderung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Jahresgutachten 2022. Berlin Zugriff am 11.11.2022 unter https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2022/05/SVR_Jahresgutachten_2022.pdf

Thöle, A.-M., Penka, S., Brähler, E., Heinz, A., & Kluge, U. (2017). Psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten aus der Sicht niedergelassener Psychotherapeuten in Deutschland. In Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 65(3), 145-154. Zugriff am 11.11.2022 unter: https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000315

Töller, A. E., Reiter, R., Günther, W., & Walter, L. (2020). Rechtliche, organisatorische und politische Rahmenbedingungen der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten in Deutschland: Identifikation von Problembereichen und Lösungsansätzen. Zeitschrift für Flucht- und Flüchtlingsforschung 4. Jg. (2020) Heft 1, 37-67.

Wahedi, K., Biddle, L., Jahn, R., Ziegler, S., Kratochwill, S, Pruskil, S., Noest, S., & Bozorgmehr, K. (2020). Medizinische Versorgung von Asylsuchenden in Erstaufnahmeeinrichtungen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 63: 12, 1460–1469.

 

Autorinnen:

Katja Lindner, Dipl.-Soziologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MIDEM – Mercator Forum Migration und Demokratie / TU Dresden (seit 2019), wissenschaftliche Mitarbeiterin in Projekt zur Evaluation der Flüchtlingsambulanzen/ apfe – ehs Dresden (2015–2017), ehrenamtliche Tätigkeiten im Themenfeld Flucht und Gesundheit (seit 2010)
Kontakt:

Dr. Ute Merkel, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztin in der Dresdner Internationalen Praxis, langjährige hauptamtliche und ehrenamtliche Arbeit mit geflüchteten Patientinnen und Patienten in Berlin (1986–2001), Meißen (eigene Praxis, 2001–2015) und Dresden (seit 2018)
Kontakt:

 

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