Georgia Homann

Das Projekt #UnterkunftUkraine

Überwältigende Hilfsbereitschaft als Best Practice

Schlagwort(e): Freiwilliges Engagement, Ukraine, Unterkünfte

Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wurde schnell klar, dass viele Geflüchtete in Deutschland ankommen und Hilfe brauchen würden. Das Projekt #UnterkunftUkraine startete am Folgetag als Webseite, auf der Gastgebende und Geflüchtete bundesweit zusammenfanden. Ein Jahr später hatten über die Plattform über 160.000 Menschen rund 360.000 freie Betten angeboten. Das Projekt blickt zurück auf ein Jahr überwältigender Hilfsbereitschaft, aber auch auf bürokratische Hürden, durch die die Engagierten navigieren mussten. Mit diesen Erkenntnissen aus dem zwölfmonatigen Bestehen schaut die Initiative in die Zukunft.

Überwältigende Hilfsbereitschaft
Zunächst ein Rückblick: Ende Februar marschieren russische Truppen in die Ukraine ein und zwingen in der Folge unzählige Menschen zur Flucht. Über 400.000 Zuzüge aus der Ukraine nach Deutschland werden bereits im ersten Kriegsmonat nach vorläufigen Ergebnissen einer Sonderauswertung aus der Wanderungsstatistik registriert. Durch ganz Europa geht ein Gefühl der Fassungslosigkeit. Viele wollen helfen. Vier Stunden dauert es, bis die Website unterkunft-ukraine.de online geht. Wer helfen will, findet dort ein Formular mit drei Fragen: „Wie heißt du?“, „Wie viele Menschen kannst du beherbergen?“ und „Wo?”. Die beiden Initiatoren Lukas Kunert und Falk Zientz verbreiten ihre Idee über Social Media und schon nach wenigen Tagen werden über 100.000 freie Betten angeboten. Das große Potenzial der privaten Unterbringung wird sichtbar. Um dieses zu nutzen, machen sich die Initiatoren auf die Suche nach Verbündeten im sozial-ökologischen Sektor. Die gut.org gAG (Gruppe digitaler Sozialunternehmen, darunter die größte deutsche Spendenplattform betterplace.org) übernimmt die Koordination. Auf diesem Wege stoße ich als Leiterin zum Projekt – ohne zu ahnen, was wir in den nächsten Monaten erreichen würden.

Bürokratische Hürden erschweren bis heute direkte Hilfe
Mit der frühzeitigen Unterstützung durch das Bundesministerium des Inneren und für Heimat vermittelt #UnterkunftUkraine fast 60.000 Geflüchteten aus der Ukraine ein Angebot, 40.400 davon an Frauen und Kinder (74%). Die private, temporäre Erstunterbringung der Ukrainerinnen und Ukrainer etabliert sich zunehmend als Alternative zur staatlichen. Damit sind jedoch neue Herausforderungen verbunden. Bürokratische Hürden wie die Wohnsitzauflage stehen einer unkomplizierten Vermittlung von Schlafplätzen im Weg. Sind Geflüchtete erst einmal registriert, dürfen sie ihren Wohnsitz grundsätzlich nicht mehr frei wählen – auch wenn sie andernorts ein Angebot zur privaten Unterbringung oder zur Miete erhalten haben. Es fehlt ein zentraler Ort, an dem Informationen für Geflüchtete, staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen, digital abrufbar sind: Wo gibt es verfügbaren Mietraum, Schul- und Kitaplätze? Wo haben Kommunen möglicherweise schon Aufnahmestopps verhängt? Inzwischen ist klar, dass zivilgesellschaftliche und staatliche Hilfen Hand in Hand gehen müssen, um die Mammutaufgabe der Vermittlung von Geflüchteten in eine sichere Unterkunft zu schultern.

Mehrheit erneut bereit, Geflüchtete aufzunehmen
Nach den ersten Monaten nimmt die Aufmerksamkeit für den Ukraine-Krieg ab. Für #UnterkunftUkraine heißt das: Der Großteil der Gastgebenden hat das Angebot zur privaten Unterbringung in den ersten Wochen nach Beginn des Angriffskriegs gemacht, sodass viele dieser Angebote bald nicht mehr aktuell sind. Hat die Hilfsbereitschaft abgenommen? National repräsentative Daten des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sagen das Gegenteil: Die Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung ist ungebrochen groß.

Psychosoziale Unterstützung relevant für Betroffene
Als Vermittlungsplattform kann #UnterkunftUkraine keine Einschätzung über den physischen und/oder psychischen Zustand der Schutzsuchenden geben. Die anekdotischen Erfahrungsberichte von Gastgebenden bestätigen, dass sich das Bild hier so divers wie die individuellen Schicksale gestaltet. Dass Frauen und Kinder häufig nicht nur ihr gewohntes Zuhause, sondern auch die männlichen Familienmitglieder zurücklassen mussten, kann ebenso wie andere einschneidende Erlebnisse oder Eindrücke des Krieges zu teilweise schweren Traumata führen. Betroffene finden oftmals Hilfe bei Expertinnen und Experten, die Unterstützung im Rahmen einer psychosozialen Betreuung bieten. Hier bemüht sich #UnterkunftUkraine um die Vernetzung mit entsprechend wichtigen Partnerinnen und Partnern, um Betroffene möglichst schnell an die richtigen Stellen verweisen zu können. Darüber hinaus wird #UnterkunftUkraine in Kürze gemeinsam mit DeZIM eine wissenschaftliche Umfrage unter vermittelten Geflüchteten durchführen und auswerten, um diese besser zu verstehen und so in Zukunft gezielter auf die individuellen Bedürfnisse von Geflüchteten eingehen zu können.

#UnterkunftUkraine macht sich für Gastgebende stark
Jemanden privat bei sich aufzunehmen, ist also mehr, als nur ein Bett zur Verfügung zu stellen. Gastgebende sind häufig bereit, Geflüchtete auch bei Behördengängen zu unterstützen. Sie stehen bei bürokratischen Fragen zur Seite oder kümmern sich mit um Kinder, einen Kitaplatz oder Sprachkurs. Private Gastgebende spielen eine sehr wichtige Rolle, wenn es um das Ankommen und die Orientierung in Deutschland geht. Sie fühlen sich aber mit wichtigen Fragen alleingelassen. Von Politik und Verwaltung wünscht sich #UnterkunftUkraine, neben finanziellen Hilfen, digitale Lösungen weiterzuentwickeln, die die unkomplizierte und schnelle Hilfe in Notsituationen vereinfachen. Besonders appelliert #UnterkunftUkraine daran, Gastgebende beim Übergang von einer kurzfristigen, privaten Unterbringung in eine eigene Wohnung mit langfristiger Perspektive für die Geflüchteten zu unterstützen. Trotz dieser Herausforderungen zeigen die vorläufigen Ergebnisse aus der DeZIM-Folgestudie: Nahezu 80 Prozent der befragten Gastgebenden haben mit der privaten Unterbringung positive Erfahrungen gemacht – dieselbe Größenordnung also wie in der ersten Befragung (Haller et al., 2023; noch unveröffentlicht). Für #UnterkunftUkraine bildet diese Zahl ab, was die Plattform bereits erreicht hat. Eine erste Studie zur Privatunterbringung, die #UnterkunftUkraine mit DeZIM im September 2022 veröffentlichte, zeigt: Rund 80 Prozent der befragten Gastgebenden würden auch in Zukunft wieder Geflüchtete aufnehmen (Haller et al., 2022). Die vorläufigen Ergebnisse der Folgeumfrage bestätigen dieses enorme Potenzial, wenngleich der Anteil in den dazwischenliegenden Monaten auf 72 Prozent gesunken ist. Eine weitere Teilgruppe von 16 Prozent knüpft ihre zukünftige Unterbringungsbereitschaft an Voraussetzungen. Für die Politik ist das ein Signal, Helfenden zu helfen und diejenigen wertzuschätzen, die für Menschen in Not Türen geöffnet haben.

Resilienter für künftige Krisen: Was es noch zu tun gilt
In Zeiten der Not eint die Menschen ein starkes Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit. Sie wollen mit anpacken und sind bereit, dafür zusammenzurücken. Daraus leitet die Initiative die nächste große Aufgabe ab. Es gilt, die geschaffene Lösung und digitale Infrastruktur zu verstetigen, die auch in künftigen Krisen potenziell allen Menschen in Not eine unkomplizierte und schnelle Hilfe in Form von Unterkunft ermöglicht. Denn nach einem Jahr #UnterkunftUkraine ist klar: Zivilgesellschaftliches Engagement hat durch die digitale Vermittlung eine Reichweite und Bedeutung erlangt, die nicht mehr wegzudenken ist. Die Gesellschaft ist ein Stück resilienter geworden.

Georgia Homann hat als Projektleiterin die Vermittlungsplattform für Geflüchtete #UnterkunftUkraine aufgebaut. Gemeinsam mit ihrem Team und einem Ökosystem an unterstützenden Partnerinnen und Partnern verfolgt sie nun das Ziel, die geschaffene Lösung zu verstetigen, um auch in Zukunft eine unkomplizierte und schnelle Unterbringung in krisenbedingter Not zu ermöglichen.

Kontakt:
Annika Przygodda, Ansprechpartnerin Kommunikation & Marketing,
E-Mail: annika.przygodda(at)unterkunft-ukraine.de

Quellen:
Liam Haller, Theresa Uhr, Sifka Etlar Frederiksen, Ramona Rischke, Zeynep Yanasmayan & Sabrina Zajak-Haller (2022): New Plattforms for engagement. Private accommodation of forced migrants from Ukraine. DeZIM insights Working Papers 5, Berlin: German Center für Integration and Migration Research (DeZIM) www.dezim-institut.de/fileadmin/user_upload/DeZIM/Aktuelles/2022-09-22_Privatunterbringung/DeZIM_Haller-et-al-Private-Accomodation.pdf)


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