Franziska Lechner-Meichsner, Thomas Ehring, Nexhmedin Morina, Ricarda Nater-Mewes, Cornelia Weise, Regina Steil

Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung bei geflüchteten Menschen mit Imagery Rescripting

Schlagwort(e): Forschung, Geflüchtete, Traumatisierung, Ukraine

Hintergrund

Lebensbedrohliche und außergewöhnlich belastende Erlebnisse gehören häufig zu den Erfahrungen geflüchteter Menschen. In einer Studie gaben 85,5 Prozent der Befragten an, mindestens ein traumatisches Ereignis erlebt zu haben (Nesterko et al., 2019) und die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen bei geflüchteten Menschen (u. a. Morina et al., 2018; Nesterko et al., 2019). Die Störung ist u. a. charakterisiert durch sich aufdrängende, lebendige Erinnerungen an das Ereignis, Albträume, Schreckhaftigkeit sowie Schlafstörungen. Die Betroffenen vermeiden Situationen und Reize, die an die traumatischen Erfahrungen erinnern. Diese Symptome können auch weitere Probleme wie Schwierigkeiten am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen nach sich ziehen. Zudem haben Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben und an einer PTBS leiden, ein erhöhtes Risiko, körperlich langfristig zu erkranken (Glaesmer et al., 2011). Eine PTBS behindert auch den Spracherwerb und die Integration in das aufnehmende Land.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig es ist, wirksame und auf die Bedürfnisse von geflüchteten Menschen zugeschnittene psychotherapeutische Interventionen zur Verfügung zu haben. Generell ist bei einer PTBS eine Psychotherapie die Behandlung der Wahl (u. a. Lewis et al., 2020) und wird in den Leitlinien empfohlen. Auch für die Behandlung von Geflüchteten konnten mittlere bis große Behandlungseffekte für traumafokussierte Psychotherapien gezeigt werden (u. a. Kip et al., 2020), allerdings gibt es auch besondere Herausforderungen in der Behandlung von Geflüchteten. Sprachliche und kulturelle Barrieren können die Inanspruchnahme einer Therapie behindern (Böttche et al., 2016). Kulturelle Anpassungen können die Wirksamkeit einer Behandlung positiv beeinflussen (Hall et al., 2016) und oft wird für die Psychotherapie eine professionelle Sprachmittlung benötigt. Weiterhin können schriftliche Aufgaben zwischen den Therapiesitzungen, die in etablierten Behandlungsprogrammen üblich sind, für Geflüchtete mit geringer Literalität oder ohne ausreichende Privatsphäre in ihrer Unterkunft eine Schwierigkeit darstellen (Steil et al., 2021). Schließlich beinhalten die meisten evidenzbasierten Behandlungen der PTBS eine wiederholte Konfrontation mit traumatischen Erinnerungen. Therapeutinnen und Therapeuten zögern jedoch oft, diese Art von Intervention bei Menschen anzuwenden, die unter einer komplexeren Symptomatik leiden (Becker et al., 2004).

Eine innovative Behandlung der PTBS, die auf Vorstellungsbildern beruht und ohne eine Konfrontation mit allen Details der Erfahrungen auskommt, ist Imagery Rescripting (Arntz, 2012). Lebendige innere Bilder sind realen Erfahrungen sehr ähnlich und es wird angenommen, dass Imagery Rescripting die Bedeutung traumatischer Erinnerung verändert (Arntz, 2012). Bisherige Studien konnten vielversprechende Behandlungseffekte zeigen (Morina et al., 2017) und auch bei geflüchteten Menschen wurden in einer ersten Studie Behandlungserfolge erzielt (Arntz et al., 2013).

Das Projekt ReScript

Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „ReScript“ ist es, die Wirksamkeit von Imagery Rescripting für Geflüchtete, die an einer PTBS leiden, zu untersuchen. Von der Goethe-Universität Frankfurt am Main aus koordiniert, wird das Projekt an insgesamt vier Standorten in Deutschland seit dem Frühjahr 2019 durchgeführt (Frankfurt am Main, München, Münster, Marburg).

Insgesamt sollen 90 Geflüchtete in die Studie aufgenommen werden. Teilnehmen kann, wer nach Deutschland geflüchtet ist, an einer PTBS leidet, sich noch mindestens sechs Monate in der Nähe des Studienzentrums aufhält und bereit ist, eine traumafokussierte Behandlung zu absolvieren. Nach einer ausführlichen Eingangsdiagnostik werden die Teilnehmenden zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt: Die erste Gruppe wird sofort mit Imagery Rescripting behandelt, die andere Gruppe kann alle im deutschen Gesundheitswesen üblichen Behandlungen in Anspruch nehmen. Diese zufällige Zuteilung stellt den Gold-Standard in der Überprüfung neuer Behandlungsprogramme dar. Sie erlaubt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit, da sich beide Gruppen nur in der Art der Behandlung unterscheiden. Nach Ende der Studienteilnahme erhalten auch der zweiten Gruppe zugteilte Personen ein Behandlungsangebot im Studienzentrum.

Patientinnen und Patienten werden nach der Therapie bzw. nach der Wartezeit sowie drei und zwölf Monate später mittels klinischer Diagnostik untersucht. Dabei werden erneut sowohl die Symptome der PTBS als auch anderer psychischer Erkrankungen und weiterer Beschwerden (z. B. Schlafstörungen, dissoziative Symptome) erfasst. Dies erlaubt zu vergleichen, wie sich die Beschwerden in den beiden Gruppen kurz- und langfristig entwickeln.

Imagery Rescripting

Imagery Rescripting wird als ambulante Einzeltherapie in einem Umfang von zehn 100 Minuten umfassenden Sitzungen innerhalb von zehn Wochen durchgeführt. Zwei zusätzliche Sitzungen können zur Bewältigung kritischer Situationen oder psychosozialer Probleme verwendet werden. Diese kurze, aber zeitlich intensive Behandlungsform wurde gewählt, um der oft unsicheren Lebenssituation der Geflüchteten Rechnung zu tragen. Zudem werden Therapien bei Bedarf mit Sprachmittlung durchgeführt und die längere Sitzungsdauer wird der für die Übersetzungen benötigten Zeit gerecht.

Die Therapie beginnt mit einer Identifikation der traumatischen Ereignisse, die heute noch am meisten belasten. Der überwiegende Teil der Therapiestunden steht danach für die Durchführung von Imagery Rescripting zur Verfügung. Nachdem ein zu bearbeitendes Ereignis ausgewählt wurde, wird die Erinnerung aktiviert, indem der Patient oder die Patientin gebeten wird, den Beginn vor das innere Auge zu holen und auf allen Sinnesmodalitäten zu beschreiben. Wenn eine ausreichende emotionale Aktivierung erfolgt ist und kurz bevor der schlimmste Moment eintritt, wird der Patient oder die Patientin gebeten, die Ereignisse in der Vorstellung so zu verändern, wie es erträglicher wäre und zentrale Bedürfnisse erfüllt werden könnten. So kann Hilfe geholt, ein Täter entmachtet oder die Gelegenheit geschaffen werden, sich von sterbenden Angehörigen zu verabschieden. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Vorstellung realistisch ist, sondern es ist ausschlaggebend, dass Bedürfnisse erfüllt werden und das Rescripting mit Gefühlen von Sicherheit, Ruhe oder Zugehörigkeit enden kann. Auf diese Weise ist das Vorgehen idiosynkratisch an die jeweiligen Patientinnen und Patienten angepasst und kann auf die individuelle Situation sowie den kulturellen und religiösen Hintergrund zugeschnitten werden.

Bisherige Erfahrungen und Ausblick

Zum heutigen Zeitpunkt wurden 73 geflüchtete Menschen in das Projekt aufgenommen. Die Teilnehmenden stammen mehrheitlich aus Afghanistan, Syrien und Subsahara-Afrika und mehr als die Hälfte benötigt Sprachmittlung zur Durchführung der Psychotherapie. Im Rahmen des Projekts stehen hierfür finanzielle Mittel zur Verfügung; bei einer Behandlung von Geflüchteten in eigener Praxis erfordert diese Situation jedoch ein großes Engagement der Behandlerinnen und Behandler. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht und eine Beantragung beim Sozialamt oder Jobcenter ist so zeitintensiv, dass es vielen Niedergelassenen unmöglich erscheint, Menschen zur Behandlung aufzunehmen, bei denen selbst zur Terminvereinbarung Sprachmittlung nötig ist. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Die Sprachmittlerinnen und Sprachmittler sollten zudem eine einführende Schulung erhalten. Im Rahmen unseres Projekts wurde eine solche internetbasiert erstellt und ist unter https://www.psychologie.uni-frankfurt.de/92259069/Dolmetscherschulung zugänglich.

Auch in unserem Projekt wird deutlich, dass die meisten Geflüchteten multiple traumatische Ereignisse erlebt haben, die sich zum Teil während der Flucht ereignet haben oder ihr als Auslöser vorausgingen. Auffallend ist zusätzlich ein hoher Anteil von Menschen, die körperliche und sexuelle Gewalt in der Kindheit erlebt haben – häufig stellt dies die Form der Traumatisierung dar, unter der die Betroffenen heute noch am meisten leiden. Es ist daher wichtig, alle Formen von Gewalterfahrungen und Naturkatastrophen zu erfassen und nicht automatisch davon auszugehen, dass z. B. Erfahrungen mit tödlicher Bedrohung auf der Flucht als am schlimmsten erlebt werden. Neue Konflikte auf der Welt und aktuelle besorgniserregende Ereignisse im Herkunftsland können (selbst suizidale) Krisen verursachen. Hier sollte während der Therapie jeweils sensibel nachfragt werden, was die neuen Entwicklungen für die behandelte Person bedeutet.

Geflüchtete sind oft im neuen Land sehr einsam. Daher sollten im Rahmen der Behandlung Aktivitäten gefördert werden, die soziale Kontakte in die aufnehmende Gesellschaft hinein fördern. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn die geflüchtete Person nicht berufstätig ist bzw. sein darf.

Sehr wichtig ist eine interkulturelle Sensibilität der Behandelnden, die u. a. Aspekte wie gesellschaftliche Ächtung von Frauen nach Erfahrungen sexualisierter Gewalt, kulturelle Ächtung von Homosexualität, die Herkunft aus einer kollektivistischen und nicht individualistischen Gesellschaft berücksichtigt. Kulturell kann beispielsweise ein gewisses Maß an Selbstöffnung des Therapeuten oder der Therapeutin erwartet werden (z. B. bzgl. Alter, Herkunft, Kinderzahl …). Bei der Terminfindung sollte Rücksicht auf religiöse Feiertage und Verpflichtungen (wie Fasten im Ramadan) genommen werden.

Übersetzungen der Studien- und Therapiematerialien ins Ukrainische werden derzeit vorbereitet, sodass das Projekt bald auch Geflüchteten aus der Ukraine ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse offensteht.

 

Literatur:

Arntz, A. (2012). Imagery Rescripting as a Therapeutic Technique: Review of Clinical Trials, Basic Studies, and Research Agenda. Journal of Experimental Psychopathology, 3(2), 189–208. doi.org/10.5127/jep.024211

Arntz, A., Sofi, D., & van Breukelen, G. (2013). Imagery Rescripting as treatment for complicated PTSD in refugees: a multiple baseline case series study. Behavior Research and Therapy, 51(6), 274–283. doi.org/10.1016/j.brat.2013.02.009

Becker, C. B., Zayfert, C., & Anderson, E. (2004). A survey of psychologists’ attitudes towards and utilization of exposure therapy for PTSD. Behaviour Research and Therapy, 42(3), 277–292. doi.org/10.1016/S0005-7967(03)00138-4

Böttche, M., Heeke, C., & Knaevelsrud, C. (2016). Sequenzielle Traumatisierungen, Traumafolgestörungen und psychotherapeutische Behandlungsansätze bei kriegstraumatisierten erwachsenen Flüchtlingen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz, 59(5), 621–626.

Glaesmer, H., Brähler, E., Gündel, H., & Riedel-Heller, S. G. (2011). The Association of Traumatic Experiences and Posttraumatic Stress Disorder With Physical Morbidity in Old Age: A German Population-Based Study. Psychosomatic Medicine, 73(5), 401–406. doi.org/10.1097/PSY.0b013e31821b47e8

Hall, G. C. N., Ibaraki, A. Y., Huang, E. R., Marti, C. N., & Stice, E. (2016). A Meta-Analysis of Cultural Adaptations of Psychological Interventions. Behavior Therapy, 47(6), 993–1014. doi.org/10.1016/j.beth.2016.09.005

Kip, A., Priebe, S., Holling, H., & Morina, N. (2020). Psychological interventions for posttraumatic stress disorder and depression in refugees: A meta-analysis of randomized controlled trials. Clinical Psychology & Psychotherapy, 27, 489–503. doi.org/10.1002/cpp.2446

Lewis, C., Roberts, N. P., Andrew, M., Starling, E., & Bisson, J. I. (2020). Psychological therapies for post-traumatic stress disorder in adults: systematic review and meta-analysis. European Journal of Psychotraumatology, 11(1), 1729633. doi.org/10.1080/20008198.2020.1729633

Morina, N., Akhtar, A., Barth, J., & Schnyder, U. (2018). Psychiatric Disorders in Refugees and Internally Displaced Persons After Forced Displacement: A Systematic Review. Frontiers in Psychiatry, 9, 433. doi.org/10.3389/fpsyt.2018.00433

Morina, N., Lancee, J., & Arntz, A. (2017). Imagery rescripting as a clinical intervention for aversive memories: A meta-analysis. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 55, 6–15. doi.org/10.1016/j.jbtep.2016.11.003

Nesterko, Y., Jäckle, D., Friedrich, M., Holzapfel, L., & Glaesmer, H. (2019). Prevalence of post-traumatic stress disorder, depression and somatisation in recently arrived refugees in Germany: an epidemiological study. Epidemiology and Psychiatric Sciences, 1–11. doi.org/10.1017/S2045796019000325

Steil, R., Görg, N., Kümmerle, S., Lechner-Meichsner, F., Gutermann, J., & Müller-Engelmann, M. (2021). Die Cognitive Processing Therapy zur Behandlung Geflüchteter mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung: Eine Machbarkeitsstudie. Verhaltenstherapie. doi.org/10.1159/000514724

 

Autorinnen und Autoren:

Dr. Franziska Lechner-Meichsner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt.

Prof. Dr. Thomas Ehring ist Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz & Traumaambulanz am Department Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Prof. Dr. Nexhmedin Morina ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Teil des Leitungsteams der Psychotherapie-Ambulanz der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

PD Dr. Dr. Ricarda Nater-Mewes ist Leiterin der Forschungs-, Lehr- und Praxisambulanz der Fakultät für Psychologie, Universität Wien.

Dr. Cornelia Weise ist Akademische Rätin für Forschung und Lehre in Klinischer Psychologie und Psychotherapie an der Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Psychologie, Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie.

Apl. Prof. Dr. Regina Steil ist Akademische Oberrätin in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt sowie Wissenschaftliche Geschäftsführerin und Teil des Leitungsteams des Zentrums für Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt.

Kontakt:
meichsner(at)psych.uni-frankfurt.de


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