Daniela Krebs

Auswirkungen der Coronapandemie auf die psychosoziale Arbeit mit Geflüchteten

Digitale Beratung und Psychotherapie als Lösung?

Schlagwort(e): Geflüchtete, Gesundheitsförderung, Kommunikation, Medien, Psychische Gesundheit

Seit einem Jahr beschäftigen uns alle die Covid-19-Pandemie und die Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben, die aus den Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie erfolgen. Diese Situation führt nicht nur zu Angst, sich oder andere zu infizieren oder nicht ausreichend medizinisch versorgt zu werden. Die Pandemie verstärkt auch die soziale Ungleichheit: Es wird deutlich, dass sie zwar alle betrifft, aber nicht alle gleich stark belastet.

Gerade für traumatisierte Geflüchtete verstärken sich in diesen Zeiten Stress, Ängste und Ungewissheiten. Sie haben durch ihre Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oftmals mit strengeren Auflagen zu leben. Es herrscht eine große Angst der Bewohner*innen vor Ansteckung. Es gibt zu wenige Rückzugsräume und Privatsphäre, die Quarantänezimmer reichen nicht aus. Mehrsprachige (und aktuelle) Informationen zum Coronavirus waren in vielen Unterkünften für lange Zeit nicht verfügbar (vgl. BAfF e.V. 2020b, S. 10). In Lockdown-Zeiten wird die Bewegungsfreiheit etwa durch „kollektive Quarantäne“ ganzer Einrichtungen maximal reduziert, die ohnehin geringe Privatsphäre dadurch noch stärker eingeschränkt. Hygiene- und Abstandsregeln können durch die Massenunterbringung nicht gewährleistet werden (vgl. BAfF e.V. 2020c).

All das führt zu erheblichen psychischen Belastungen. Sind die Menschen bereits durch Flucht, Gewalt und Foltererfahrungen vorbelastet, kann sich ihre gesundheitliche und psychische Lage durch die Pandemie deutlich verschlechtern. Für traumatisiere Menschen kann dieser zusätzliche Rückzug, der Verlust von Kontakt- und Bezugspersonen sowie auch der fehlende Zugang zu Psychotherapie und Beratung, destabilisierend wirken (vgl. BAfF e.V. 2020c). Diffuse Ängste können sich ungünstig mit solchen Ängsten mischen, die vorher schon bestanden (vgl. BAfF e.V. 2020b, S. 10).

Psychotherapie und Beratung während Corona schlechter möglich

Der Zugang zu medizinischer und psychotherapeutischer Versorgung ist für geflüchtete Menschen bereits ohne die Einschränkungen im Rahmen der Coronapandemie mangelhaft. Hatten sie bis zum Ausbruch der Pandemie keine Anbindung an ein Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) oder an Psychotherapeut*innen, ist es für traumatisierte Menschen noch deutlich schwerer geworden, Hilfeleistungen zu erhalten. Die bisherigen Phasen des kompletten oder teilweise durchgeführten Lockdowns führen dazu, dass Psychotherapeut*innen und Berater*innen ihre Klient*innen nur eingeschränkt sehen können. In den Räumlichkeiten der Psychosozialen Zentren können nicht immer die Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden. Zudem ist die weite Anreise für Klient*innen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein zusätzliches Risiko. Laut aktuellen Zahlen brauchen Klient*innen durchschnittlich mindestens 30 Minuten für den Anfahrtsweg in ein Psychosoziales Zentrum – manche reisen sogar über zwei Stunden an, um ihre Beratung oder Psychotherapie wahrzunehmen (BAfF e.V. 2020a, S.103). Bei vielen ist aber die Angst, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Corona anzustecken, zu groß. Damit entsteht eine weitere Zugangsbarriere für Psychotherapie und Beratung.

Wie erleben Klient*innen der PSZ die Coronapandemie?

Die Einschränkungen und die anhaltende Unsicherheit der Coronapandemie wirken sich stark auf die Klient*innen der PSZ aus. Bei traumatisierten Geflüchteten verschlechterten sich ihre Symptome; oftmals sind zusätzliche Ängste und Angststörungen entstanden – nicht nur vor einer Coronaerkrankung, sondern auch vor negativen Auswirkungen auf ihr Asylverfahren oder das Wohlergehen ihrer Familien. Viele Geflüchtete haben durch coronabedingte Kündigungen ihren Job verloren. Die Arbeitslosigkeit senkt die Chancen auf eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung und auf Familienzusammenführung und erhöht somit die psychische Belastung. Auch die Umstellung der Ämter in den Kommunen auf Onlinebetrieb führt bei den Klient*innen zu Problemen.

Die PSZ berichten davon, dass die massiven gesundheitlichen, psychosozialen und psychischen Beeinträchtigungen, die mit der Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften einhergehen, sich während der Coronapandemie deutlich verstärkt haben. So habe es vermehrt Eskalationen mit Polizei und Sicherheitsdiensten gegeben, aber auch Probleme unter den Bewohner*innen, da es zu wenig Rückzugsräume und Privatsphäre in den Unterkünften gibt. Wenn man diese dann nicht einmal mehr verlassen kann, ist es verständlich, dass Situationen auch eskalieren können. Durch den Wegfall haltgebender Strukturen wie Deutschkurse, Sportaktivitäten, ehrenamtliche Angebote und Lohnarbeit verstärken sich  die Belastungen. Konnten Klient*innen vor der Pandemie stabilisiert werden, fielen sie oftmals durch die vermehrte Hilflosigkeit und Einsamkeit in tiefe Krisen.

Einige Klient*innen können jedoch auch recht pragmatisch mit der Coronakrise umgehen. Da sie in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht schlimme Gewalt, Menschenrechtsverletzungen oder auch Epidemien erlebt haben, wirkt Corona auf manche weniger angsteinflößend. Für sie sind dann die Auswirkungen das größte Problem, die Ausgangsbeschränkungen oder die Kontaktverbote.

Die Mitarbeiter*innen der PSZ haben im vergangenen Jahr auf vielfältige Weisen versucht, den Kontakt mit ihren Klient*innen so gut wie möglich aufrechtzuerhalten. Mit den meisten konnte auch ein weiterer Psychotherapie- und Beratungskontakt aufrechterhalten werden. Die Umstellung auf digitale und telefonische Angebote schuf hier neue Möglichkeiten der Kommunikation.

Digitale Psychotherapie und Beratung – dauerhafte Lösung oder reine Krisenüberbrückung?

Der Kontakt zu Berater*innen und Psychotherapeut*innen in den PSZ konnte in Zeiten des Lockdowns nur digital oder telefonisch gehalten werden. Die Internetkapazitäten in den Unterkünften sind aber bereits vor der Coronapandemie an ihre Grenzen gestoßen. Unter den derzeitigen Bedingungen fehlt es vielen Geflüchteten umso mehr an den notwendigen digitalen Voraussetzungen (BAfF e.V. 2020b, S. 10). Ebenso wie andere prekär lebende Menschen können sie sich häufig keinen unbegrenzten Zugang zu Internet und Telefonie leisten – die zusätzlichen Kosten sind schlichtweg zu hoch. Zusätzlich besteht das Problem des Datenschutzes. Die Kommunikation über nicht speziell gesicherte Apps wie WhatsApp oder Skype erfordert ein informiertes Einverständnis der Klient*innen.

Während im Sommer 2020 vermehrt versucht wurde, zurück zu persönlichen Gesprächen zu gelangen, fanden im vergangenen Herbst Beratungen und Psychotherapien jeweils wieder zu etwa einem Drittel telefonisch, digital und persönlich statt. Im Sommer und bei gutem Wetter wurden – soweit dies möglich war – die Sitzungen ins Freie verlegt. Im Winter und bei kälteren Temperaturen ist dies nicht mehr umsetzbar. Viele Zentren sind dazu übergegangen, persönliche Gespräche mit offenem Fenster und Mundschutz zu führen. In diesen Phasen sind jedoch Gruppenangebote vermehrt ausgefallen, da diese digital oder telefonisch nicht möglich waren und auch mit den Abstands- und Hygieneregeln in den Zentren nicht sicher durchgeführt werden konnten.

Bei Einzelberatungen und Psychotherapiesitzungen zeigte sich, dass die Häufigkeit des Kontakts zu den Klient*innen telefonisch und digital zugenommen hat, die Abstände zwischen den Sitzungen sind geringer geworden. Viele Psychotherapeut*innen und Berater*innen haben sich Diensthandys zugelegt, um über Messenger-Dienste flexibler Kontakt zu Klient*innen zu halten. Das Telefon war für viele Klient*innen ein so vertrautes Kommunikationsmedium, dass sie sich leicht auf die telefonische Beratung oder Psychotherapie einlassen konnten. Auch die Zuschaltung von Sprachmittler*innen funktionierte vielerorts telefonisch und digital nach einer Eingewöhnungsphase gut. Es wurde berichtet, dass gerade schambesetzte Themen über das Telefon von den Klient*innen leichter angesprochen werden konnten, weil eine räumliche Distanz zu den Gesprächspartner*innen vorhanden war.

Auch für Videositzungen mit Klient*innen haben sich einige Vorteile ergeben. Klient*innen mit einem weiten Anreiseweg konnten besser angebunden werden. Zudem konnte über die digitale Kommunikation mit Videos auch ein Bezug zu den Lebensverhältnissen der Klient*innen geschaffen werden. Konkrete Situationen in den Unterkünften oder im Wohnraum konnten dadurch leichter besprochen werden.

Problematisch war allerdings das Herstellen von Nähe, das gerade für das vertrauensvolle Gespräch zwischen Klient*in und Berater*in oder Psychotherapeut*in wichtig ist. Nur so können Themen angesprochen werden, die gerade akut sind und bearbeitet werden sollten. In einem persönlichen Gespräch ist dies über Augenkontakt und die gemeinsame Interaktion in einem Zimmer möglich. Über das Telefon kann nur die Stimme genutzt werden, um eine Verbindung herzustellen. Emotionen sind allein darüber schwerer zu vermitteln und zu verstehen. Hierbei hilft es, wenn bereits vorher eine Beziehung zwischen Psychotherapeut*in und Klient*in und dadurch ein Gefühl für die Art der Kommunikation und Mitteilung bestand. Die Videokommunikation erleichtert dies, weil das Gegenüber gesehen werden kann und so auch die Mimik und die Körperhaltung mit in das Gespräch einfließen können.

Die Psychotherapeut*innen und Berater*innen der PSZ betonten hier, dass sie versuchen, nicht zu viele Emotionen zu wecken, und sich hauptsächlich um eine Stabilisierung der Klient*innen bemühten. Schwerwiegende Probleme oder Ursachen von Traumata wurden selten angesprochen, da die Möglichkeiten der direkten Interaktion eingeschränkt sind – so etwa auch das einfache Reichen von Taschentüchern. Zudem besteht die Gefahr, dass Klient*innen „dissoziieren“, d. h. auf Ansprache nicht mehr reagieren oder ins Leere blicken, da sie sich innerlich vor der unausweichlichen Situation schützen. Auf so eine Situation kann digital deutlich schwieriger reagiert werden. Klient*innen können auch die telefonische oder digitale Sitzung einfach verlassen oder auflegen. Passiert dies in einer sehr aufgewühlten emotionalen Lage, kann es für die Klient*innen zu gefährlichen Situationen führen. Die Berater*innen und Psychotherapeut*innen können nicht wie in persönlichen Gesprächen insistieren, dass die*der Klient*in noch sitzen bleibt, bis sich die Situation entspannt hat. Eine erneute Kontaktaufnahme kann einfach abgewendet werden. Von einer Trauma-Exposition über Video oder Telefon muss daher dringend abgeraten werden.

Ausblick

Es zeigt sich in diesen schwierigen Pandemiezeiten, dass die digitale oder telefonische Psychotherapie und Beratung eine Zwischenlösung für das Kontakthalten und Stabilisieren von Klient*innen darstellen kann. Menschen mit leichteren Depressionen oder Angststörungen können weiter betreut und Informationen weitergegeben werden. Einfache Übungen, wie zum Beispiel zur Achtsamkeit oder Imagination, können auch über Telefon und Internet gut gemeinsam durchgeführt werden. Schwere oder akute Krisen sind ohne persönlichen Kontakt schwerer zu bearbeiten und zu lösen.

Die psychotherapeutische Versorgung und psychosoziale Beratung muss auch in schwierigen Zeiten für geflüchtete Menschen sichergestellt werden. Die Maßnahmen rund um die Coronapandemie dürfen nicht dazu führen, dass die Barrieren zur Gesundheitsversorgung für Geflüchtete unüberwindbar werden. Die Erfahrungen aus dem ersten Jahr der Coronapandemie haben gezeigt, dass Beratungs- oder Psychotherapiegespräche kurzfristig auch digital oder telefonisch weitergeführt werden können, wenn diese aufgrund von Lockdown-Regelungen nicht persönlich stattfinden können. Hier müssen die gesetzlichen Leistungsträger sowie die Leiter der Unterkünfte dafür Sorge tragen, dass die technischen und räumlichen Gegebenheiten geschaffen werden, um diese Angebote auch erfolgreich durchzuführen: damit Geflüchtete durch die Beschränkungen nicht noch mehr diskriminiert werden.


Literatur:

BAfF e.V. (2020a). Versorgungsbericht. Zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland. 6. Aktualisierte Auflage. Berlin. Online unter http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/10/BAfF_Versorgungsbericht-6.pdf

BAfF e.V. (2020b). Living in a box. Psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder. Berlin. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2020/05/BAfF_Living-in-a-box_Kinder-in-Ankerzentren.pdf

BAfF e.V. (2020c). Zum Weltflüchtlingstag: Das Menschenrecht auf Gesundheit gilt auch in Krisenzeiten. Zugriff am 25.02.2021 unter http://www.baff-zentren.org/news/zum-weltfluechtlingstag-das-menschenrecht-auf-gesundheit-gilt-auch-in-krisenzeiten/


Daniela Krebs ist Mitarbeiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
Web: www.baff-zentren.org

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