André Hajek

Ältere Menschen mit Migrationshintergrund und Einsamkeit

Schwerpunktthemen: Alter, Einsamkeit, Geflüchtete

Einsamkeit ist in aller Munde. Doch: Was ist das überhaupt und warum beschäftigt man sich damit? Unter Einsamkeit versteht man im Allgemeinen erst einmal eine negative Emotion. Genauer gesagt ist es der wahrgenommene Unterschied zwischen den tatsächlichen und den gewünschten sozialen Beziehungen. Dieser Mangelzustand kann qualitativ – d. h. Unzufriedenheit mit der Qualität sozialer Beziehungen – als auch quantitativ – d.h. Mangel an sozialen Kontakten – sein. Oder auch eine Kombination von qualitativen und quantitativen Faktoren. Letztendlich hat jeder Mensch seinen eigenen Bewertungsmaßstab.

Folgen von Einsamkeit

Es gibt außerordentlich viele Gründe Einsamkeit einmal genauer zu beleuchten. Ein ganz wesentlicher Grund ist, dass Einsamkeit sowohl mit späteren physischen (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen) als auch mit mentalen Krankheiten (z. B. Depression oder Angststörung) assoziiert ist (Park et al., 2020). Einsamkeit führt nicht nur dazu, dass Menschen glauben, sie würden früher sterben (Hajek & König, 2021). Unzählige Studien zeigen, dass einsame Menschen tatsächlich eine kürzere Lebensspanne haben (Wang et al., 2023). Häufig spricht man davon, dass der Effekt von Einsamkeit auf die Gesundheit ähnlich groß ist wie der von 15 Zigaretten – am Tag. Aber Einsamkeit hat - neben gesundheitlichen - auch weitere Konsequenzen. Ältere, einsame Menschen gehen bspw. häufiger zur Ärztin bzw. zum Arzt – unabhängig von ihrem tatsächlichen Gesundheitszustand. Auch sind sie misstrauischer gegenüber staatlichen Institutionen (Schobin et al., 2024) und anfälliger für Verschwörungstheorien (Bierwiaczonek et al., 2024).

Aus all diesen Gründen wird Einsamkeit auch zunehmend als gesellschaftliche Herausforderung wahrgenommen. Viele Nationen ergreifen zunehmend politische Maßnahmen, um Einsamkeit zu bekämpfen. Ein Beispiel hierfür ist die Strategie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Deutschland. International gibt es das Ministerium für Einsamkeit in Großbritannien, sowie ähnliche Initiativen in den USA und Japan. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Vereinten Nationen (UN) betrachten Einsamkeit als globales Problem der öffentlichen Gesundheit und priorisieren Einsamkeit im Kontext der Dekade für gesundes Altern (2021 bis 2030) im besonderen Maße.

Verbreitung von Einsamkeit

Einsamkeit ist durchaus verbreitet. Basierend auf Daten einer großen, repräsentativen Studie sind ungefähr 9,8 Prozent der Personen zwischen 51 bis 75 Jahren und 10,2 Prozent der Personen über 75 Jahre einsam (Jahr 2021) (Schobin et al., 2024). In Deutschland sind – ganz allgemein - sehr unterschiedliche Gruppen von Einsamkeit betroffen. Darunter fallen bspw. Erwerbslose, Alleinerziehende, Personen, die private Pflege leisten und auch (ältere) Personen mit Migrationshintergrund (Schobin et al., 2024).

Einsamkeit bei (älteren) Menschen mit Migrationshintergrund

International haben schon diverse Studien einen möglichen Zusammenhang eines Migrationshintergrundes mit der Einsamkeit analysiert (Guédez & Neto, 2014; Klok et al., 2017; ten Kate et al., 2020). Meist fanden sich bei Personen mit Migrationshintergrund höhere Einsamkeitswerte als bei Personen ohne Migrationshintergrund.

National konnte u. a. eine jüngere Studie (Hajek & König, 2024) aufzeigen, dass insb. ältere Menschen mit Migrationshintergrund und eigener Migrationserfahrung höhere Einsamkeitswerte im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund aufweisen. Hingegen lagen die Einsamkeitswerte bei älteren Menschen mit Migrationshintergrund, aber ohne eigene Migrationserfahrung unter den Werten von Menschen ohne Migrationshintergrund. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch in weiteren Studien aus Deutschland (Entringer & Kröger, 2021; Hajek & König, 2022) – jedoch ohne expliziten Fokus auf ältere Personen mit Migrationshintergrund.

Mögliche Gründe für die genannten Ergebnisse sind, dass ältere Menschen mit Migrationshintergrund und eigener Migrationserfahrung möglicherweise Familienmitglieder sowie Freundinnen und Freunde aus ihren Herkunftsländern besonders vermissen. Ebenso könnten negative Erfahrungen in Deutschland – wie Diskriminierung und Marginalisierung – Gefühle der Einsamkeit intensivieren (Hajek & König, 2024). Niedrigere Einsamkeitswerte bei älteren Menschen mit Migrationshintergrund, aber ohne eigene Migrationserfahrung, könnten vorsichtig als Zeichen guter Integration und bestehender sozialer Bindungen in Deutschland interpretiert werden. Kontakte aus dem Ausland werden in dieser Gruppe mutmaßlich wenig vermisst (Hajek & König, 2024).

Einsamkeit bei Geflüchteten

In einer weiteren groß angelegten Arbeit konnte gezeigt werden, dass mehr als ein Fünftel der Geflüchteten (Alter 50+: 21,8 Prozent) sich oft oder sehr oft einsam gefühlt haben – im Vergleich zu 6 Prozent bei Personen ohne Migrationshintergrund im Jahr 2021 (Eckhard & Siegert, 2024). Die Einsamkeit bei Geflüchteten blieb von 2016 bis 2022 ziemlich stabil. Während sich ein Rückgang bei jüngeren und männlichen Geflüchteten andeutet, nimmt dieser Wert bei älteren und weiblichen Geflüchteten eher zu. Auch chronische Einsamkeit ist bei älteren Geflüchteten eine Herausforderung. Faktoren wie fehlende Kontakte zu Deutschen, fehlende Freundschaften, Gefühle der Diskriminierung und ein unsicherer Aufenthaltsstatus sind mit verstärkter Einsamkeit assoziiert (Eckhard & Siegert, 2024).

Seit Kriegsbeginn sind auch deutlich mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Von August bis Oktober 2022 wurden ebenjene Menschen aus der Ukraine in einer groß angelegten Studie befragt (Mairhofer et al., 2023). Insgesamt fühlten sich 26 Prozent der Befragten sehr einsam. Ältere Menschen aus der Ukraine waren dabei seltener von Einsamkeit betroffen als jüngere. Dies könnte vielfältige Gründe haben (z. B. gemeinsame Flucht mit Familienmitgliedern bzw. der Partnerin / dem Partner bei Älteren). Des Weiteren sind u. a. Faktoren wie das Gefühl einer Willkommenskultur in Deutschland, häufige Kontakte mit Deutschen sowie Ukrainerinnen und Ukrainern mit weniger Einsamkeit assoziiert.

Einsamkeit begegnen

Summa summarum ist festzuhalten, dass ältere Menschen mit Migrationshintergrund (und eigener Migrationserfahrung) häufig deutlich höhere Einsamkeitswerte aufweisen als Menschen ohne Migrationshintergrund. Angesichts derzeitiger – und möglicherweise auch künftiger - Zuzüge ist dies von großer Bedeutung.

Es bedarf hier Anstrengungen, um entsprechende Risikogruppen zu adressieren. So hat bspw. eine jüngere Studie (Baumbach et al., 2023) aufzeigen können, dass ältere in Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund und eigener Migrationserfahrung besonders stark von körperlicher Bewegung profitieren, um Einsamkeit zu vermindern. Auch Initiativen zur Unterstützung der Sprachentwicklung und um verstärkt in den Kontakt zu kommen (wie Ehrenämter, Mehrgenerationenhäuser, Seniorencafés, oder sonstige kulturelle Angebote) könnten sich als zielführend erweisen, um Einsamkeit bei älteren Personen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrung zu begegnen.

Quellen:

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Entringer, T. M., & Kröger, H. (2021). Weiterhin einsam und weniger zufrieden: Die Covid-19-Pandemie wirkt sich im zweiten Lockdown stärker auf das Wohlbefinden aus.

Guédez, A. G., & Neto, F. (2014). Loneliness among Venezuelan migrants living in Portugal. In J. Merton (Ed.), Acculturation: Psychology, processes and global perspectives. (pp. 181-193). Nova Science Publishers. http://search.ebscohost.com.proxy-ub.rug.nl/login.aspx?direct=true&db=psyh&AN=2015-27971-011&site=ehost-live&scope=site

Hajek, A., & König, H.-H. (2021). Do loneliness and perceived social isolation reduce expected longevity and increase the frequency of dealing with death and dying? Longitudinal findings based on a nationally representative sample. Journal of the American Medical Directors Association, 22(8), 1720-1725. e1725.

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Autor:
André Hajek
Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg Center for Health Economics, Hamburg, Deutschland

Kontakt:
Prof. Dr. André Hajek
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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